Fangirls-Fandoms-Fans

„I used to be normal!“: Fangirl als krankhafte Obsession

Wenn das Herz schneller schlägt, die Handflächen feucht werden und die Stressflecken ihren Weg ins Gesicht finden, dann ist das ein ganz normaler Tag im Leben eines waschechten Fangirls. Kommt das verehrte Idol dann tatsächlich mal um’s Eck, gibt es kein Halten mehr. Geschrei, Hysterie und Tränen gehören genauso zum Fangirl-Alltag, wie anrüchige Fanfiction schreiben, das Zimmer tapezieren (Ja, das wird noch gemacht.) und über den Beziehungsstatus des Stars zu diskutieren.

Einen Film über genau dieses Thema möchten Jessica Leski und Rita Walsh nun endlich fertig stellen. Ihr Crowdfunding Projekt ist vor ein paar Stunden erfolgreich beendet worden. 50.000 US Dollar fehlten ihnen noch. Das Thema ist offenbar so brisant, dass sogar mehr als diese Summe zusammen gekommen ist, vielleicht auch, weil die echten Backstreet Boys (kreisch!) Werbung für das Projekt gemacht haben. Zurecht! Schon der Trailer zeigt eindrücklich, was Fan-Sein eigentlich bedeutet. Da ist nichts mehr mit romantischem Anhimmeln: Kreischend dem Tourbus hinter her rennen und die eigene geistige Gesundheit anzweifeln sind Alltag. „I used to be normal!“ bringt all das auf den Punkt. Auch, dass das keine neue Entwicklung ist, zeigt der Film: Schon die Beatles ebneten den Weg Gekreische und gesellschaftlich akzeptierte Ohnmachtsanfälle.

Der Weg von „etwas mögen“ zu „etwas abgöttisch lieben“ ist ein langer – ist man ihn jedoch einmal gegangen, scheint es für viele Fans kein Zurück mehr zu geben. Schon der Trailer zeigt, dass die Verehrung eines Stars, vor allem im Teenageralter oft in Hysterie, Vorstufen des Stalkings und Selbstaufgabe umschlagen kann. Er zeigt aber auch Menschen, die etwas gefunden haben, das sie gemeinsam bewegt, etwas, das sie gemeinsam glücklich macht. Die beiden Filmemacher haben Menschen getroffen, die Backstreet Boys-Kreuzfahrten buchen und Fan-Art als ihren Vollzeitjob sehen. Mädchen und Jungs, die sich ganz ihren Stars verschreiben und das auf eine faszinierende Art – man möchte fast Teil ihrer Gemeinschaft werden, so leidenschaftlich erscheinen sie.

 

Wie du und ich…

 

Der Trailer zeigt auch: Sie sind wie du und ich. Sie sind alt und jung. Groß und klein. Es sind Mädchen, Jungs, Frauen, Männer und Transgender. Sie alle haben eine Sache gemein: Sie sind Fans. Ein Fan, so das einschlägige Lexikon, ist ein Mensch, der längerfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für ihn externen Fanobjekt hat und in die emotionale Beziehung zu diesem Objekt Ressourcen wie Zeit oder Geld investiert.

Wir alle finden irgendeine Band oder irgendeinen Schauspieler gut – wir sind aber nicht alle Fangirls, denn es hat sich etwas getan: Während unsere Väter noch Fans der Rolling Stones waren, gibt es heute nur noch Fandoms und ganz besonders: Fangirls. Das Urban Dictionary beschreibt ein „fangirl“  als „A female who has overstepped the line between healthy fandom and indecent obsession.“ Das tatsächliche Fangirl ist aber nicht an ein Geschlecht gebunden, Fangirl ist zum eigenständigen Ausdruck geworden und kann problemlos auch als Verb genutzt werden.

 

Forever young

 

Wir sollten uns also selber fragen: Sind wir Fans, sind wir vielleicht sogar Fangirls? Gebe ich Zeit, Geld oder wenigstens Gedanken für eine gewisse Person, habe ich am Ende schon eine Grenze überschritten: Bin ich ungesund? Es ist egal, denn was das Fan-Sein so an sich hat: Es geht vorbei. Selten nimmt man die jugendliche Leidenschaft für den Teenie-Star mit den blond gefärbten Spitzen mit ins Erwachsenenalter. Und das ist vielleicht die traurigste Sache der Welt – denn ein kleines Stück jugendliche Leichtigkeit hat doch eigentlich noch keinem geschadet. Das beweist die im 21. Jahrhundert entstandene Kultur der „Fandoms“. Schon das Wort deutet an, das es sich hier um eine Gemeinschaft handelt. Fan-Sein verbindet, Fan-Sein scheint im Jahr 2015 irgendwie mehr Spaß zu machen.

Der gute alte Fanclub ist out – Fans finden sich schon lange nur noch in sozialen Netzwerken. Dort lachen, weinen und leiden sie mit ihren Stars, sie schreiben manchmal nicht jugendfreie Fanfiction und knüpfen Freundschaften. Hört sich eigentlich ganz geil an. Früher musste man noch hunderte Kilometer weit zum nächsten Antreffen von Tokio Hotel am Essener Bahnhof fahren. Heute finden sich Fans auch so: Instagram sei dank. Denn genau dort finden Fandoms hauptsachlich statt.

 

Zeit für Feldforschung

 

Ganz in Fangirl-Manier habe ich Feldforschung bei Instagram betrieben: Wer sind die User hinter (wenigstens ein paar) der unzähligen Fanpages auf Instagram? Wie viel Zeit geht für die Pflege einer ernst zunehmenden Fanseite drauf? Und: Wieso der ganze verdammte Stress? Dass Justin Bieber Fans hat und das nicht zu knapp war mir bewusst. Dass auch deutschen Schauspielern, wie Elyas M’Barek Fanseiten gewidmet werden, war mir nicht klar. Mit einer eher kleinen Seite dieser Art, die aber doch stolze 5500 Follower hat, bin ich in Kontakt getreten. Lena, die Inhaberin, oder wie es auf Instagram heißt, die Admin der Seite ist im Teenageralter, geht noch zur Schule und erzählt mir, dass sie Elyas „einfach so toll findet“. Sie braucht viel Zeit für ihre Seite, tut das aber gern. M’Barek ist es ihr Wert.

Ihr größter Traum: „Ihn mal live zu sehen und ein Foto mit ihm machen.“ Lena ist ein gemäßigter Fan – an der Haustür ihres Idols klingeln wäre auch für sie ein Schritt zu weit. Auch, dass der Name ihrer Seite hier genannt wird, ist ihr eher unrecht. Im Gegensatz zum Account dreier Österreicherinnen. Sie sind Fans der Boyband One Direction. Mit beeindruckenden Verkaufzahlen, sehr engen Hosen und dem einen oder anderen Skandal schafft es die von der britischen Version von X-Factor gecastete Band auf gut 53 Millionen Beitrage auf Instagram. Viele davon von Fanseiten wie „onedirection_5idiots„.

https://twitter.com/deesssst11/status/621980877069770752/photo/1

Boybands werden nie alt

 

Ich spreche mit den drei Admins von „onedirection_5idiots“ und möchte wissen, wie es ist, Teil eines Fandoms mit solchen Ausmaßen zu sein. Denn von außen betrachtet sind auch diese Mädchen nur drei von unvorstellbar vielen jungen Menschen, die die britische Band abgöttisch lieben. Irgendetwas muss es also sein, das One Direction und vergleichbare Bands ihren Fans geben. Irgendetwas, das die Zeit, das Geld und die Emotionen, die ihre Fans investieren ausgleicht oder sogar aufwiegt.

Für die drei Teenager scheint die Seite tatsächlich ein soziales Sprungbrett gewesen zu sein: Viele ihrer Follower seien mittlerweile „richtig gute Freunde geworden“ und ihr Freundeskreis sei gewachsen. Die Verehrung des gemeinsamen Idols schweißt zusammen. Die Band One Direction ist dabei nur gemeinsamer Nährboden gewesen.

Was ist normal?

 

Das Fan-Sein als Hobby ist ganz klar nicht zu vergleichen mit Backen oder Briefmarken sammeln. Fan-Sein verschiebt die eigene Kreativität und das eigene Schaffen auf andere Personen. Eine Art Projektion findet statt: James Houran erklärt in einem Artikel der abcNews, dass Celebrities Personen aller Alterstufen dazu inspirieren können, bessere Menschen zu werden. Er geht sogar noch weiter: Nachahmung anderer Menschen gehört zur ganz normalen Entwicklung eines Menschen. Es scheint nur logisch, dass wir uns die strahlendsten, schönsten und perfekten Vorbilder aussuchen: Stars. Dass viele dieser Celebrities nichts weiter als Marketing Produkte sind, wird oft übersehen.

Mit Zeilen wie „All my life you stood by me, when no one else was ever behind me. All these lights, they can’t blind me. With your love, nobody can drag me down“ wickeln die vier gut aussehenden Briten ihre Fans (a.k.a. Directioner) um den Finger. Welche 13-Jährige würde da nicht schmelzen? Was passiert, wenn die Liebe zu den Idolen in etwas anderes umschlägt, haben auch die Mädels von „onedirection_5idiots“ schon erlebt: Emotionale und teilweise aggressive Fans kämpfen bei dem europäischen Musikpreis von MTV in der Kategorie „EMA’s Biggest Fans“ um den Status ihrer Stars. Dort werden Konflikte öffentlich ausgetragen und auch weniger jugendfreie Wörter fallen. Alles wegen dieser einen Boyband, die man gerade so unfassbar gut findet.

Sei ein Fan!

 

Was Fan-Sein eigentlich ist: Jung sein und etwas auszuleben, das wahrscheinlich nie wieder mit dem eigenen Leben vereinbar sein wird. Im Teenageralter hingegen ist genau der Zeitpunkt um mit Kopfsprung in die Liebe zu One Direction oder Justin Bieber zu springen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Als ich die amerikanische Inhaberin der Seite „Sherlocked.feels„, gefragt habe, wo sie ihre Liebe zur Serie Sherlock und zu Harry Potter in zehn Jahren sieht, antwortet sie: „I know eventually I’ll move on, but truly having the account has made me a better person and taught me so much. That I’ll never forget.“

Die 17-Jährige erklärt uns, den Twentysomethings, die zu cool dafür sind, irgendetwas so richtig gut zu finden, was es heißt Fan zu sein: Seine Energie in etwas zu stecken, das auf den ersten Blick nichts zurück gibt. Fan-Sein wird nicht bezahlt, nicht mal Anerkennung oder Lob bekommen Fangirls – eher spöttische Blicke. Von ihren Stars höchstens mal ein kleines „I love you“ an die Millionen kreischenden Fans, aber das war’s dann auch schon. Altruismus ist das Stichwort. Und das ist vielleicht eine gute Übung für das spätere Leben als Erwachsener, der, wenn er schon kein Fan mehr ist, wenigstens weiß, was es heißt, sich für etwas zu begeistern. Denn diese Leidenschaft ist genau das, was vielen von uns fehlt.

 

 

Folge ZEITjUNG auf FacebookTwitter und Instagram!

Bildquelle: Anthony Delanoix/unsplash.com