Feminismus-Frauen-Männer-Dialog-Gespräch-Streit

Hey Jungs, wir müssen über Feminismus sprechen!

„Aber die Mädels sind doch selbst schuld, wenn sie sich schon mit 11 so anziehen wie kleine Nutten.“ Mit diesem Satz fällt mir die Kinnlade runter und mit ihr gleich mein ganzer Kopf, den ich gegen die Fensterscheibe schlagen möchte. Ich sitze mit drei Jungs in einer Mitfahrgelegenheit auf dem Weg in meine Heimat. Mit dem Fahrer verstand ich mich auf Anhieb gut – in den etwa zwei Stunden Fahrt bis hierher redeten wir über unsere Jobs, Politik und jede Menge Schmarrn und lachten viel dabei. Wir haben nicht in allen Punkten die gleiche Meinung, aber zumindest ähnliche Einstellungen. Und dann fällt dieser Satz. Ich starre ihn mit großen Augen und offenem Mund an und muss erst lachen, bevor ich dann ein „Siehst du, genau das ist das Problem!“ herausbekomme.

Weil er es nicht zu verstehen scheint, füge ich mit etwas ruhigerer Stimme hinzu: „Merkst du nicht, dass du gerade der bist, der sie als Nutten bezeichnet? Du bist der, der ihre Kleidung sexualisiert. Die Mädels ziehen an, worauf sie Bock haben, und das ist ihr Recht.“ Er antwortet nur: „Okay, Alice Schwarzer, beruhige dich mal wieder.“ Und so bin ich in einem Auto voller Jungs mit einer Äußerung, die Frauen verteidigt, ganz schnell in die Schublade zu den extremen Feministinnen gewandert, die alle hart übertreiben.

Diese wütenden Frauen, die Männer hassen

Liebe Boys, Feminismus kann nur im Dialog etwas bewegen. Nur Meinungsäußerung kann ein Umdenken anstoßen. Deshalb stehe ich hinter meiner Meinung und sage sie gerne, wenn sich jemand in meiner Gegenwart in irgendeine Richtung sexistisch äußert. Aber ich drücke sie niemandem ungefragt auf und möchte weder zwanghaft überzeugen noch instrumentalisieren. Und so ist Alice Schwarzer mit ihrer doch sehr extremen Einstellung keine Person, mit der ich verglichen werden möchte. Und dieser genervte Unterton, der in dem Satz mitschwingt, nervt mich nur noch mehr.

Viele Männer möchten gar nicht in den Dialog. Feministinnen, das sind doch diese wütenden Frauen, die Männer hassen. Ich möchte nicht von dem einen Mann in dieser Situation auf andere schließen, aber ich befürchte, mehrere Männer und sicherlich auch einige Frauen denken so. Dabei ist der Feminismus dazu da, um irgendwann mal Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu erreichen. Dieser Zweck scheint zwischen #metoo-Debatten und Frauenquote untergegangen zu sein. Doch Frauen müssen nun einmal zuerst eine ganze Stufe höher gehoben werden, um überhaupt irgendwann auf der gleichen zu stehen. Und dafür müssen wir aktiv und vielleicht auch aktivistisch werden.

Immer in der gleichen Blase

Als ich mich ein bisschen von dem Vorwurf erholt habe und aus der Schublade geklettert bin, komme ich ins Grübeln. Liebe Girls, nehmen wir den Männern manchmal selbst die Chance, sich zu äußern? Inzwischen werden immer mehr Veranstaltungen organisiert, um Frauen zu empowern. Ganze Frauenkongresse finden statt, damit sich Frauen gegenseitig bestärken und untereinander connecten können. Von der Idee war ich erstmal sofort begeistert. Mit einer starken Gemeinschaft können wir noch viel mehr erreichen. Wir müssen miteinander arbeiten anstatt uns als Konkurrenz zu betrachten, um den Schritt auf die höhere Stufe meistern zu können.

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Die Idee ist also super, aber leider nicht sinnvoll umgesetzt. Denn zu diesen Events sollten alle Geschlechter eingeladen werden – sowohl als Speaker als auch Besucher. Auf einem reinen Frauenkongress entsteht zwar ein schöner, rosafarbener Rahmen, in dem wir uns unter unseres Gleichen bewegen können, doch Diskussionen zwischen allen Parteien bringen einen viel größeren Ball ins Rollen. Immer nur in der gleichen Blase umher zu schwimmen kann nichts verändern. Nur, wenn wir Männern die Chance geben, sich einzubringen, können wir ihr Bild von uns beeinflussen und damit die Schublade zerstören. Und dann können wir mit einer starken Gemeinschaft aus Frauen und Männern am meisten erreichen.

Lasst die Wortfetzen fliegen!

Liebe alle, lasst uns mehr miteinander reden anstatt uns nur gegenseitig zu beschuldigen. Lasst uns diskutieren und streiten, dass die Wortfetzen fliegen. Schockiert sein, sich aufregen, Gegenargumente finden und zurückfeuern – das bringt den Ball voll mit neuen Gedanken ins Rollen und die Blase zum Platzen. Um aber zu der starken Gemeinschaft zu werden, die wir brauchen, und danach nicht zerstritten getrennte Wege zu gehen, sollten wir intelligent streiten.

Lasst uns auf Vorwürfe verzichten und stattdessen besser beschreiben, was wir selbst fühlen. Lasst uns aus einem „Ihr seid einfach ignorant, weil ihr eben schon die Führungspositionen besetzt und das Gehalt habt, wovon wir nur träumen!“ lieber ein „Wir fühlen uns nicht gesehen und ungerecht behandelt“ machen. Denn gegen die eigenen Gefühle kann niemand etwas sagen und direkte Formulierungen bringen viel mehr Klarheit und Verständnis in eine Diskussionsrunde. Lasst uns vom „ihr“ zum „wir“ übergehen. Lasst uns Aussagen erst einmal spiegeln, anstatt sie gleich zu interpretieren. Lasst uns ein „Du laberst Scheiße und beleidigst mich damit“ in ein „Habe ich das richtig verstanden?“ verwandeln. Und mit Geduld, Verständnis und klugen Argumenten kommen wir dann irgendwann da an, wo wir hin wollen.

Aus „ihr“ wird „wir“

Am Ende der Autofahrt kam ich zwar an dem Ort an, wo ich hin wollte, aber in Sachen Feminismus absolut nicht. Nächstes Mal werde ich die Situation anders angehen. Und zwar so, dass auch in einem Auto mit drei Jungs ein Gespräch über Feminismus entsteht, das statt Ärger und folgender Stille Denkanstöße auslöst. Vielleicht sage ich das nächste Mal so etwas wie: „Habe ich das richtig verstanden, dass du den Mädels die Schuld daran gibst, dass sie von Jungs dumm angemacht werden?“ Ganz ohne Urteil oder Vorwurf werden dann schon graue Zellen aktiviert, Rädchen fleißig rattern und Synapsen neu verbunden – und das in den Köpfen der anwesenden Boys und Girls. Und dann wird aus „ihr“ bald ein „wir“ und aus ein paar Worten über Feminismus eine Gemeinschaft, die in keine Schublade passt.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz