Génération perdue: Frankreichs verlorene Jugend

Zukunftsangst der Jungen

 

Thibault war in Manchester, Mathilde an der Charite in Berlin, beide haben gute Noten. Und dennoch: „Kinder zu bekommen, wäre uns viel zu unsicher“, sagt Mathilde. Und sie meint nicht das hohe Stress-Level, das man als Mediziner nunmal hat. Sondern die Lage des Landes. „Es ist schrecklich, wie mächtig der Front National ist.“ Sonst finde ich das „sch“, das sie im Wort schrecklich am Ende sagt, immer ein bisschen süß. Dieses Mal nicht. Denn man merkt, dass es ihr nahe geht, dass in ihrem Land, der selbsternannten Nation der Freiheit, dem Land der „Liberté“, eine rechtspopulistische Partei darum ringt, die Präsidentin zu stellen, und dass ihre Generation durch Nicht-Wählen – bei den Regional- und den Europawahlen ging nur jeweils ein Drittel zur Wahl – oder direkter Stimmenabgabe für den Front National direkt dazu beitragen. Thibault sagt, er habe das Gefühl, dass Frankreich die Orientierung verloren habe, die Richtung, in die es steuern solle. Wenn er sagt, er würde nach dem Studium gerne für Ärzte ohne Grenzen arbeiten, dann merkt man, dass er etwas bewegen will. Dass er wegen der Ohnmacht im eigenen Land wenigstens außerhalb etwas Gutes tun will.

Mathilde und ihr Freund Thibault studieren beide in Rennes.

Im Café Babylone ist da noch Louise, die Literatur studiert. Sie sagt, dass sie keine Ahnung hat, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Es ist kein Jammern einer Generation, die nur Wohlstand kennt. Denn Louise hat zwei Nebenjobs, einen an der Kasse eines kleinen Kiosks und einen an der Uni, wo sie die Anrufe verzweifelter StudentInnen annimmt, die exmatrikuliert wurden. Oder Fragen zum Studium der Literatur haben. Sie sitzt dann da und beantwortet Fragen über ein Studium, an dem sie längst selbst zweifelt. Ihr Freund lebt in der Schweiz. Sie versuchen, sich so oft wie möglich zu sehen. Während er der Zukunft hoffnungsvoll entgegen blickt, hat Louise Angst. „Die Arbeitslosigkeit ist für diese jungen Franzosen eine ständige Bedrohung. Ich treffe durch meine Arbeit viele deutsche Studenten, für die Arbeitslosigkeit immer auch ein Risiko ist, aber keine elementare Angst, die die Psyche so belastet wie bei französischen Absolventen“, sagt Chauvel in einem Gespräch mit der ZEIT.

Chauvel sagt auch: „Die gesellschaftlichen Probleme und Spannungen, die vor allem die Jungen täglich erleben, werden nicht im politischen Personal abgebildet und von den Eliten nicht wahrgenommen. Aber nicht nur politisch, auch kulturell und intellektuell spielt das Leben junger Menschen in der französischen Gesellschaft fast keine Rolle: In den Medien, in der Literatur, in der öffentlichen Debatte sprechen Alte mit Alten über die Probleme der Alten.“ Und so sitzen Mathilde, Thibault, Jeremy, Louise und die anderen im Café Babylone und fühlen sich im Stich gelassen. Deshalb wählen viele Junge, wie bereits in den Niederlanden, die Rechten. Denn die versprechen Veränderung, versprechen, etwas zu bewegen. Das kommt für Mathilde und die anderen nicht in Frage. „Ich habe Macron gewählt“, sagt Thibault. „Ob er stark genug ist, um das System zu ändern, bezweifle ich aber.“