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War früher alles besser oder spinnt die Generation Y einfach?

Von Melanie Waldschmitt

 

Meine Bahn hat Verspätung und mir sind gefühlt mittlerweile schon fast die Füße am Bahnsteig festgefroren. Vielleicht hätte ich die schicken Doc Martens auch eher gegen fellgefütterte Winterstiefel eintauschen sollen. Jaja, früher hat man ja noch praktisch gedacht, Oma! Ich weiß. Ich muss grinsen, weil ich sie mit erhobenem Zeigefinger vor meinem inneren Augen stehen sehe. Aber da hat sie halt einfach Recht. Während früher man sich wirklich fast immer kleidungstechnisch nach dem Wetter gerichtet hat, haben heute dann doch die Modefavoriten Priorität. Ich krame nach der Tüte meiner belegten Laugenstange in meinem Rucksack. Da meine Mitbewohner sich beide vegan ernähren, ziert meine Frühstückstüte einen schönen Vegan Slogan (obwohl mein Inhalt gar nicht vegan ist). Früher hat man ja einfach gegessen, was auf den Tisch kam. Da gab´s ja dieses ganzen vegan and healthy lifestyle Tam Tam noch nicht. Schütte ich Sojamilch oder Kokosmilch in meine Müslischüssel mit Früchten und Agavendicksaft? Porrigde? Low carb Pancakes? Dieser Überfluss! Diese Vielfalt an Produkten! Früher gab´s bei meiner Oma immer ein gekochtes Ei und Butterbrot mit Schinken. Dass dahinter ja weit mehr steckt, als nur die Qual der Wahl ist der älteren Generation schwer zu erklären. Aber mit einem haben sie Recht:

 

Früher war man auch mit weniger zufrieden

 

Vielleicht ist das aber auch alles total typisch für die Landei-Ideologie. Schließlich hat man früher noch mehr geschuftet für weniger Ertrag. War eben eine ganz andere Messlatte. Auch nichts mit „verwöhnt am Bahnsteig herum zu stehen, bis die Straßenbahn einen 120 Meter vor dem Arbeitsplatz absetzt“. Unangebrachtes Gejammer auf zu hohem Niveau. Veränderungen sind laut der älteren Generationen nicht immer Fortschritte. Denn obwohl heute vieles »einfacher« ist, beharrt meine Oma darauf, dass früher trotzdem vieles besser war. Oder genau deswegen. Weniger Schuhe, weniger Nahrungsprodukte und sowas. Heute sei man ja total überfordert mit den vielen Angeboten. Da könne man sich ja auch Samstagsabend gar nicht entscheiden, was man mit den Freunden unternehmen soll. In ihrer Jugend, da hat man wochenlang auf den Theaterabend hingefiebert. Viel mehr Optionen gab´s auch nicht. Und sowieso wusste man alles immer viel mehr zu schätzen. Das ginge heute ja total verloren. Das bekomme ich auch immer zu hören, wenn es um mein Studium geht. Wie viele Studiengänge und Ausbildungsmöglichkeiten es heutzutage gibt und wir jungen Leute nörgeln trotzdem immer noch herum. Für gewöhnlich hat man einfach im elterlichen Betrieb gearbeitet. Oder als Frau überwiegend im Haushalt – nur einige wenige in Verwaltungen oder Firmen. Als Mann im handwerklichen Beruf. Heute kann man sich zwischen Hunderten von Ausbildungs-, und Studienrichtlinien entscheiden. Oder eben auch nicht entscheiden.

 

Früher gab´s das ja nicht

 

Wird einem heute viel zu leicht gemacht. Mit einem ratternden Geräusch rollt die gelbe Bahn ein. Kurz erspähe ich, ob ER eventuell darin sitzen könnte. Dann würde ich gegebenenfalls einfach doch den Kältetod riskieren. Da aber nichts zu sehen ist, husche ich hinein und setze mich leicht melancholisch ans Fenster. Eine alte Frau steigt hinzu und nimmt mir gegenüber Platz. Sie lächelt mir zu. Ich lächle zurück, wie es sich für eine junge Frau, die glücklich zu sein hat (da ja eigentlich alles ach so viel einfacher wäre als früher) gehört. Wenn meine Oma von ihrem Mann – meinem Opa –  erzählt, den ich leider nicht mehr kennen lernen durfte, da geht mir immer das Herz auf. Sie wären ganz sicher noch immer zusammen. Klassisch hatten sie sich beim Tanzkurs kennengelernt, er hat ihr Avancen gemacht und sie kurze Zeit später zum Essen ausgeführt. Und dann kam man eben zusammen, hat geheiratet. Was ist in Bezug darauf heute bitte schön einfach? Eben nichts. Im Gegenteil. Heute existieren so bescheuerte imaginäre Regeln, wie die »Drei -Tages-Regel«. Nach einem Kennenlernen sich bloß nicht am nächsten Tag melden, da macht man sich ja uninteressant. Was ist das eigentlich für ein Quatsch? Wenn ich mich melden will, melde ich mich. Oder unnötige Interpretationen in irgendwelche geschriebene Sätze. Aufschieberei von Dates. Herumgerede um den heißen Brei. Drama, überall Drama.

 

Vielleicht ist es heute ja auch gar nicht einfacher, sondern nur anders kompliziert?

 

Da meint man alles sei heute einfacher, mit Smartphones und tausend Möglichkeiten. Ist´s nicht. Oder was ist mit Sport? Emanzipation und hashtag #girlswholift schön und gut, aber steigt damit nicht auch der Druck, sportlich sein zu müssen? Heute sind nicht nur Waschbrett Bäuche bei Männern brennend heiß, sondern auch bei Frauen angesagt. Heute sagt man auch nicht mehr „Ich geh mal eben ein Ründchen spazieren“, heute sagt man „Ich geh mal eben ´ne Stunde joggen“. Und heute hat man gefälligst einen durchtrainierten Hintern in der Skinny Jeans. Bootygoals versteht sich. Mit dem Fortschritt steigt der Druck. Manchmal ist Entwicklung eben nicht gleich als „ent – wickeln“ zu verstehen. Manchmal verwickelt man sich nämlich noch mehr in Dingen, gerade weil es mehr Fäden gibt, an denen man ziehen könnte. Heute hat man eine riesen Auswahl an allem. Klar, ist es irgendwie leichter geworden. Aber eben nur irgendwie. Denn im Grund stieg mit der Vielfalt auch der Hang zur Überforderung. Mit allem. Da kann eine Entscheidung, welche Schuhe ich heute trage, schon mal die härteste meines jungen Lebens sein.