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„Er sagt mir nichts, der sogenannte Glaube“

In einer Welt, in der Google Antworten auf alle Fragen weiß, Popsternchen die Götter des neuen Millenniums sind und das Strohfeuer Wissenschaft langsam die Geheimnisse der Natur abfackelt, sitzt die Kirche als Mentor für jeder Lebenslage längst auf der Ersatzbank.

Religion ist out

Statt in Reih und Glied auf Ratschläge des heiligen Vaters zu warten, aktiviert die heutige Generation ihre Geister selbst. Im „try and error“-Modus der Generation Jutebeutel wird Religion zum Konsumgut: Wir probieren, stülpen über, streifen ab, schmeißen Altes in die Ecke, um es mit noch älterem Kram zu ersetzen. Mit dem New Age-Symbol auf dem Shirt, Esoterikbüchern im Regal und dem ans Sternzeichen angepassten Ernährungsstil wird der traditionelle Glaube an Gott zum abgedroschen Relikt, das an erzwungene Ausflüge in Omas Kirche erinnert. Doch was bedeutet es, wenn der Facebook-Newsfeed zur Bibel wird, ein Shirt-Wechsel die politische Gesinnung diktiert und der Name Gottes nur noch von „Oh my“ angeführt wird?! Was wird aus ihm, dem sogennanten Glauben, und unserer Fähigkeit ihn zu teilen?

250 Jahre zurück, und die Zeitmaschine gewährt uns einen Blick in das vorindustrielle Gesicht einer Welt, in der die menschliche Erklärungskraft noch an den Türen der Kirche endete. Die gesuchte Information wartete nicht bloß einen Google-Begriff entfernt: Der Mensch fand seine Antworten im Glauben an Gott, der Antworten auf das Unerklärliche bot. Auf dem aufklärerischen und ernüchternden Weg über Industrie- und Popkultur wurde die Religion in diesen Funktionen nach und nach von irdischen Instanzen abgelöst: Adam und Eva wurden von Darwins Evolutionstheorie vom Thron geboxt, das kirchliche Wertsystem wird von nationalen und transnationalen Rechtsgrundlagen getrumpft und die Wissenschaft schlachtet kaltherzig den Zauber des Unerklärlichen. Die Welt wird invadiert von besser-wissenden „Atheisten“, die die Existenz eines Gottes aus Prinzip ausschließen und den weiterlaufenden Fortschritt unserer Gesellschaft als baldiges Ende des religiösen Glaubens abfeiern. Doch birgt die Entzauberung der Welt tatsächlich auch das Todesurteil menschlichen Glaubens?!

Baukasten Religion

Forscher wie der deutsche Soziologe Hans Joas widersprechen dieser Schlussfolgerung und betonen den Unterschied zwischen religiösem Glauben und dem Glauben an sich. Glaube wird dabei zur universellen Erfahrung, die jeder Mensch immer zu teilen fähig bleibt. Soll heißen: Der Mensch kann gar nicht anders, er ist von Natur aus darauf gepolt zu glauben. Während dieser Urinstinkt früher einzelne Gruppen im geteilten Glauben an eine gemeinsame Religion vereint hat, manifestiert sich Glaube heute in Form von verschiedensten Faszinationen. Auch die Flut bekennender Atheisten glaubt, nur eben nicht nach den gängigen religiösen Parametern. So glaubt der Musiker an die Kraft seiner Noten, der Architekt an die Beständigkeit von Baukunst und der Schriftsteller an die Macht der Worte. Mit anderen Worten: Der Mensch baut sich im Jahr 2014 seinen Glauben selbst zusammen und wird so zum Creative Director seiner ganz eigenen Religion.

Baustoffstau: Religion vs. Esoterik

Bei der Konstruktion dieses „Do-it-yourself“-Glaubens sind vor allem Esoterik, Astrologie und andere Praktiken des New Age auf dem Vormarsch. Der Religionssoziologe Detlef Pollack beschreibt diese Entwicklung als Trend „in den westlichen Gesellschaften zu einem flexiblen Glauben ohne starke institutionelle Bindung, der besser zu unserer freien Lebensführung passt“. Dabei geht es nicht um die Gruppe, sondern um den Einzelnen und dessen spirituelle Auseinandersetzung mit sich selbst. Einen Zugang zu den Methoden moderner Esoterik und Astrologie wie das Kartenlegen mit Tarot- oder Lenormandkarten bieten zum Beispiel Online-Portale wie Questico.de. Unter der professionellen Anleitung von ausgebildeten Esoterikern und Astrologen kann man dort neue Denkanstöße und Ideen beim Design der eigenen Weltanschauung sammeln.

Ganz gleich, welche Weltanschauung wir uns aus diversen Glaubensansätzen auch zusammen basteln, fest steht: Im Glaubens-Dschungel des neuen Jahrtausends sind wir allein für dessen Konstruktion zuständig – Ob der traditionelle Glaube an Gott dabei einen Platz einnimmt oder zusammen mit dem ollen Ikea-Kinderbett auf der Straße landet, bleibt letztlich jedem selbst überlassen.

Bild: Vinoth Chandar unter CC BY 2.0