Arbeit

Schlussmachen mit der eigenen Begeisterungsfähigkeit

Liebe Begeisterungsfähigkeit, wir müssen reden. Diese Zeilen sind der verschriftlichte Wolpertinger aus Hassobjekt und Liebeserklärung. Ich kann dich in keine Schublade stecken, denn für mich bist du Schwarz und Weiß, Fluch und Segen zugleich. Dank dir schwärme ich noch Monate später vom Konzert der Lieblingsband, freue mich tagelang über das Wiedersehen mit dem Kumpel und feiere das leckere Essen beim Italiener stärker ab, als Andere ihre eigene Hochzeit. Dank dir bin ich allerdings auch Mitte 20, ausgebildete Bankkauffrau, habe abgeschlossene Praktika in Kindergarten, Reisebüro und Sternehotel, jahrelang in der Gastro gejobbt, sitze jetzt an meinem Laptop, tippe diesen Text und mache dieses Jahr hoffentlich meinen Bachelor im Studienklassiker „Irgendwas mit Medien“.

 

Wo komm‘ ich her, wo will ich hin?

 

Liebe Begeisterungsfähigkeit! Du bist der Motor, der mich antreibt, wenn ich lethargisch auf dem Sofa kauere. Doch du bist auch das Teufelchen, das mir an einem produktiven Arbeitstag ins Ohr flüstert: „Ist es wirklich das, was du später einmal machen willst?“ Ja, doch. Schon. Oder? So säst du immer wieder kleine Samen der Zweifel in mir und obwohl ich ein botanischer Totalausfall bin und sogar Kakteen in meiner Obhut sterben, deine Pflanzen gedeihen prächtig. Hin und her, Auf und Ab. Langweilig war es nie mit uns beiden, deshalb ist das mit dir wahrscheinlich auch die längste Beziehung, in der ich es je ausgehalten habe. Unser Alltag ist abwechslungsreich. Wiege ich mich zu sehr in Sicherheit und freue mich, endlich angekommen zu sein, beginnst du mir – besser als es jedes Facebooktracking könnte – Angebote zu unterbreiten. Krankenschwester? Lehrerin? Sozialpädagogin? Feuerwehrfrau? Dies, das, Ananas. Ich weiß ja, du meinst es nur gut, aber so wird das nix. Warum kannst du nicht einfach einmal entspannen, wenn ich gerade voll bei einer Sache bin? Warum hast du ständig andere Pläne? Du weißt doch selbst am allerbesten, wie schwer ich mich fokussieren kann. Wie verlockend sie sind, die Umwelteinflüsse und der Einstieg ins Gedankenkarussell der Möglichkeiten. Sitze ich erst einmal wieder im für mich beliebtesten Fahrgeschäft der Welt, komme ich so schnell nicht mehr heraus. Neue Ruuuuuundeeee! Und dort ziehen sie dann an mir vorbei, die nicht genutzten Chancen, die großen und die kleinen. Halte ich eine Sekunde zu lange inne und lasse das „Was wäre wenn“ passieren, bahne ich dir den Weg für ein Potpourri neuer Lebensentwürfe. Ich lasse es geschehen, denn du bist der beste Geschichtenerzähler, den ich jemals hatte. Du sparst wirklich nicht an Farbe, wenn du dich in meinem Kopf herumtreibst und meine Zukunft gestaltest. Ich verliebe mich immer wieder aufs Neue in diese künstlerischen Meisterwerke und habe mich auch oft genug von dir auf Neuland treiben lassen. Ich gestehe dir an dieser Stelle zu, dass es dort in den meisten Fällen auch sehr schön war und ich nur selten von Heimweh geplagt wurde.

 

Angekommen um zu bleiben

 

Doch jetzt, liebe Begeisterungsfähigkeit, würde ich gerne einmal bleiben. Ich weiß, dass dich das schockieren muss. Mit Mitte 20 will heute doch niemand mehr sesshaft werden! Ich spreche auch nicht von einem Haus am See, wenn ich diesen Wunsch an dich formuliere. Ich habe unsere gemeinsamen Entdeckungsreisen der Vergangenheit immer sehr genossen und verabschiede diese Zeit auch mit einem weinenden Auge. Trotzdem ist es langsam soweit, denn ich glaube, dass ich ein bisschen angekommen bin. Bei mir und bei dem, was ich wirklich gerne machen möchte. Auf meinem Weg hierhin hast du mir auch wahnsinnig wichtige Dienste geleistet, denn du hast mich meist in den genau richtigen Momenten angestupst und ganz zaghaft gefragt, ob’s das jetzt wirklich schon gewesen ist. Meistens war meine Antwort darauf „Nein“ und nur deshalb mache ich heute das, was ich wirklich gerne mache. Und deshalb, um es mit Adel Tawil zu formulieren: Soll es so sein, kann es so bleiben. Denn so hab ich es mir gewünscht. Liebe Begeisterungsfähigkeit, ich danke dir, dass du immer an meiner Seite warst. Du hast mich zu dem gemacht, was ich heute bin und dafür werde ich dir für immer dankbar sein. Für mich ist es jetzt an der Zeit loszulassen. Mach’s gut!

 

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz