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Hassobjekt: Fasching

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten ab sofort immer montags in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: „Fasching“

 

Fasching, das Oktoberfest für Arme, kommt jetzt, nach mehr als drei Monaten, aber endlich zu einem Ende. 2019 kann also jetzt schon nur noch besser werden als das vorherige Jahr. Der kommende Mittwoch beendet die sogenannte „Fünfte Jahreszeit“ endgültig. Zumindest bis sich im November wieder ein verrückter Haufen Menschen in Bierzelten trifft, um sich zu verkleiden und den Funkenmariechen beim Tanzen zuzusehen. Als ich eine Kölner Freundin neulich fragte, warum das mit dem Fasching für sie so wichtig ist und ob sie sich beim Verkleiden mit bald 30 nicht ein bisschen blöd vorkomme, antwortete sie: „Man verkleidet sich hier auch noch mit 66. Das ist eben Tradition und das musst du Berliner Hipster dann auch einfach mal akzeptieren.“

 

Merke: Spaß ist nicht gleich Spaß

 

Als Berlinerin wurde ich, retrospektiv betrachtet, weitestgehend von Fasching, Weiberfastnacht und Rosenmontag verschont. Lediglich der Kindergarten rekrutierte mich alljährlich dazu, als Prinzessin auf einem Foto zu posieren. Da stand ich dann neben unzähligen Cowboys, dicken Clowns und jeder Menge Hexen. Heulend. Mittlerweile muss ich zwar nicht mehr weinen, wenn die Faschingszeit das Land teilt, wie einst Moses das Rote Meer, aber ich verstehe noch immer nicht, was das mit dem Fasching eigentlich soll.

Und ja, ich habe es ausprobiert. Ja, richtig. Sowohl in Südtirol als auch in Köln habe ich mich in die verkleideten Massen gestürzt, bin über Bierleichen geklettert, habe Konfetti im Auge gehabt und Bützjen verteilt wie manche Blogger ihre Visitenkarten. Was soll ich sagen? Der Spaß hielt sich irgendwie in Grenzen. Vielleicht liegt es ja am Kölsch. Wer versucht sich damit die närrische Zeit schön zu trinken, wird recht bald merken: dit klappt nicht.

 

Haben sie den Tiger auch in XL?

 

Blättert man sich online ein bisschen durch die Karnevalsgeschichte, fällt schnell auf: Kostüme sollten ursprünglich vor allem Angst machen. Primär trafen sich die Menschen zur Vertreibung des Winters, kostümiert mit düsteren Umhängen und Masken. Nichtsahnend, dass der Frühling auch ohne Maskierung den Winter vom Thron der Jahreszeiten gestoßen hätte, legten die Urjecken den Grundstein für eine Tradition, die noch heute die Nation in Faschingsfreunde und Spielverderber gliedert. Aber was bringt heute (wo wir doch alle wissen, dass der Winter irgendwann wieder aufhört) erwachsene Menschen dazu, sich als Hasen, Cowboys oder sexy Ärzte durch die Straßen zu schunkeln? Ist das restliche Leben vielleicht zu oft ein Arschloch? Bringt das alljährliche Zelebrieren des eigenartigen Brauchtums vielleicht, neben dem Loch im Portemonnaie, auch mal wieder ein bisschen Freude in den Alltag? Ist Fasching doch nicht so verstaubt und kleinbürgerlich, wie ich denke? Vielleicht ist uns Köln, Düsseldorf, Mainz und Eschweiler ja sogar ein ganzes Stück in Sachen Lebensglück voraus. Frei nach dem Motto: ´Kostüme gegen die Krise´ gehen die Massen dort schließlich wenigstens auf die Straße, um ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen. Vielleicht protestieren die Eschweiler ja klammheimlich und mit ordentlich Promille im Blut unter dem Deckmantel der Tradition, für ein neues, für ein lustigeres Deutschland. Wer weiß.

 

Jetzt mal im Ernst

 

Spaß beiseite, ich verstehe euch schon. Liebe Jecken, ich weiß ihr braucht das. Weil ihr schon seit Anfang August an euren Kostümchen bastelt und in Sportvereinen übt, wie man sich möglichst lang aufrecht auf einer Bierbank hält. „Tradition ist Tradition ist Tradition“, sagt ihr und: „Die Narrenfreiheit haben wir uns ein Mal im Jahr einfach verdient“. Faschingsmuffel sollen gefälligst die Augen schließen. Wer ein Problem damit hat, dass ihm an Weiberfastnacht die Krawatte mit einer rostigen Schere von einer nach Bier riechenden Hexe gekürzt wird, soll doch einfach ein Wochenende nach Barcelona fahren. Ihr habt ja auch irgendwie Recht. Liebe Faschingsfreunde, ich muss eure Liebe zum Verkleiden, deutschsprachiger Schunkelmusik und Festzeltreden ja Gott sei Dank nicht teilen. Solange ihr Spaß habt, habe ich ihn auch. Nur eben möglichst weit weg von euch.

 

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