BB_Touristinmir

Hassobjekt: der Tourist in mir

Jeder kennt sie, jeder hasst sie und doch brauchen wir sie wie die Luft zum Atmen: Nervige Klientele und unnütze Gegenstände des Alltags, über die man sich so richtig schön echauffieren kann – da geht es den ZEITjUNG-Autoren nicht anders. Deshalb lassen wir unserer Wut in der Reihe „Hassobjekt“ einfach freien Lauf und geraten überspitzt in Rage. Eins ist sicher: Nichts ist uns heilig und keiner wird verschont. Dieses Mal auf der Abschussliste: Touristen.

Es geht wieder los. Millionen von Freizeitbayern werden in nächster Zeit München überfluten. Aber auch der Wasen in Stuttgart lockt die übelste Art von Menschen: Touristen. Wie Heuschrecken wird diese Geißel der Menschheit über die friedlichen Bewohner Süddeutschlands herfallen. Dabei haben die Münchner ja sogar noch Glück. In Berlin treiben sich das ganze Jahr über Touris rum und von den armen Bewohnern der Mittelmeerinseln will ich gar nicht erst anfangen. Griechen, Spanier und Italiener ertragen jeden Sommer mehr als Joko und Klaas beim Schellenschach. Denn irgendetwas verändert den Menschen, sobald er sein gewohntes Territorium verlässt. Ob es nun in die nächste Großstadt oder in den Kongo geht. Aber warum?

Der Mensch und die Zwiebel

Wie werden aus freundlichen Holländern, kreischende Säufer? Was macht aus höflichen Briten, Buffetdrängler? Es muss doch eine Erklärung für dieses Phänomen geben! Denn der Mann, der Thailänderinnen in Bangkok an den Arsch fasst, ist in Deutschland treusorgender Familienvater. Was hat es auf sich mit dieser Krankheit, dieser Seuche, die Menschen im Ausland befällt. Die Entwicklung von der Perle der Evolution zum unerzogenen Touristen, lässt sich mit einer Zwiebel vergleichen. Denn wie bei dem Gemüse auch, dringt man Schicht für Schicht zum Innersten vor. Sobald der gemeine Homo Sapiens ein Flugzeug betritt, schälen sich die Schichten aus aufgesetzter Höflichkeit, Ethischen Grundsätzen und Anstand ab, bis nur noch ein Wesen mit den emphatischen Fähigkeiten eines Kindes übrig ist. Und am Ende weinen alle.

Ab dem dritten Piccolo Sekt kurz nach dem Abflug, wird der Stewardess die Menschlichkeit abgesprochen und höflicher Umgang durch Fingerschnippen ersetzt. Spätestens im Taxi zum Hotel gehören elementarste Umgangsformen der Vergangenheit an. Zwei Wochen lang wird auf den Anstand geschissen, schließlich ist man ja im Urlaub. Mit kurzen Hosen in die Hagia Sophia? Na klar! Nacktbaden am Familienstrand? Ja warum nicht! Den Trevibrunnen voll kotzen? Attacke!

Ihr seid nicht besser!

Und alle, die jetzt denken: Uff ich hasse diese Touristen auch, aber ich bin ja niemand, der nach Mallorca oder Lloret fliegt um Einheimische zu belästigen. Euch sei gesagt: Ihr seid nicht besser! Ihr seid nicht toll, weil ihr statt zu saufen in kurzen Hosen Tempel entweiht, die Royal Guard der Queen nervt oder euren Namen in die Akropolis kratzt! Glaubt ihr wirklich euer Spanisch aus der Volkshochschule beeindruckt irgendjemanden in Barcelona? Ihr macht Fotos mit dem Besitzer eurer Lieblingspizzeria, nur um zu Hause von eurem guten Freund Marco aus der Toskana zu erzählen, der wahrscheinlich gar nicht euer Freund sein will! Natürlich ist jedem ein Museumsgänger lieber, als ein Komasäufer, aber wenigstens belügen die Jungs mit dem „FBI – Female Body Inspector“ T-Shirt (schlimmstes T-Shirt der Welt) sich nicht selbst! Die wissen nämlich ganz genau, dass sie sich im Ausland wie das letzte benehmen werden. Steht doch wenigstens dazu!

Niemand benimmt sich im Urlaub genauso wie daheim. Die Verlockungen der Anonymität sind zu groß. Mir geht es da nicht anders. Auch ich höre diese Stimme in meinem Kopf! Dieser Drang Handtücher auf Liegestühlen auszubreiten, wo ich doch genau weiß, dass ich erst noch frühstücken gehen werde. Diese innere Stimme, die glaubt es sei eine gute Idee weiße Socken in meine neuen Birkenstocksandalen anzuziehen. Bin das überhaupt noch ich oder ist es das Tier in mir? Eine Art Wesenheit, die die Kontrolle über meinen wehrlosen Körper übernommen hat? Oder bin das ich in meiner reinen Form?

Kein Mensch kennt mich, mag mich oder sieht mich jemals wieder

Schließlich sagte schon Kant sinngemäß: Der Mensch kann nur durch Erziehung werden was er ist! Und die geht im Urlaub flöten. Was übrig bleibt, ist der Mensch in seiner Urform, eine ungezähmte Bestie, die sich nicht mehr um Werte oder Normen schert. Das ganze Jahr über halten uns die selbst auferlegten Fesseln der Gesellschaft im Zaum und das ist auch gut so. Nur in diesen zwei Wochen, die wir liebevoll Urlaub nennen, werfen wir das Joch des guten Benehmens ab und werden zum Monster. Denn was kümmern mich Regeln, Gesetze oder Umgangsformen? Kein Mensch kennt mich, mag mich oder sieht mich jemals wieder.

Dass sich das ändern muss, ist offensichtlich. Aber ist es überhaupt möglich sich im Urlaub „normal“ zu verhalten? Fairerweise muss man sagen, als Tourist kann man nie alle Gepflogenheiten eines Landes schon im Vorraus erahnen, aber mit etwas gesundem Menschenverstand und einem guten Reiseführer lassen sich zumindest die größten Fettnäpfchen vermeiden. Aber was ist, wenn ich den Urlaub nun einmal brauche, um einmal im Jahr zu meinen Urinstinkten zurückzukehren? Was wenn ich nur in diesen zwei herrlichen Sommerwochen aus den Fesseln der Konventionen ausbrechen kann? Würde ich vielleicht sogar implodieren, wenn ich mein Wesen verleumde und zwanghaft versuche das Unvermeidliche zu verhindern?

Der Tourist in mir ist immer da. Die meiste Zeit über schläft er. Wartet geduldig auf seine Zeit und seine Zeit wird kommen. Der Tourist ist ein Teil von mir und er ist hungrig.

Folge ZEITjUNG auf Facebook, Twitter und Instagram!

Bildquelle:Unsplash unter CCO Lizenz