Zum Heiland mit Watsky: „Für Amerika steht gerade ziemlich viel auf dem Spiel“
Es ist der wärmste Tag seit Wochen. Im bisher eher winterlichen München traut sich an diesem Sonntag die Sonne hervor – ist das etwa dieser goldene Herbst, von dem alle reden? Um kurz vor 15 Uhr hat es locker 20 Grad und ein weißer Van rollt in die Einfahrt des Muffatwerks. Hinter den abgedunkelten Scheiben kann ich ein paar schemenhafte Gestalten erkennen – und eine Basecap. Die gehört, wie sich kurze Zeit später herausstellen wird, zu George Watsky. Der Kalifornier ist kleiner, als er auf der Bühne wirkt, und zu sagen, dass er müde aussieht, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Er und seine Crew hätten die ganze Nacht über im Auto gesessen, erzählt er mir, als wir die Location betreten, in der er heute Abend noch auftreten wird.
Watsky hat es im zarten Alter von 30 Jahren bereits weit gebracht – mit „Pale Kid Raps Fast“ wurde er zur YouTube-Berühmtheit, zu Ellen Degeneres eingeladen und startete – logische Konsequenz – bald darauf seine Rapkarriere. Der Doubletime on point, die Texte immer scharfzüngig, immer selbstironisch: Spätestens mit seinem dritten Album „Cardboard Castles“ hat sich Watsky im Rapbiz einen Namen gemacht und legt seither die Messlatte in Sachen Qualität ziemlich hoch an. Sein neues Album mit dem Titel „x Infinity“ erschien im Juli – es ist sein fünftes und gleichzeitig musikalischstes. Nebenbei hat das Multitalent auch noch ein Buch geschrieben. Die Essay-Sammlung trägt den schönen Namen „How To Ruin Everything“ und stand wochenlang auf der Bestsellerliste der New York Times.
ZEITjUNG: Du bist seit Wochen auf einer Tour quer durch die USA und Europa. Allein in den letzten zwei Wochen hast du Shows in zehn verschiedenen Ländern gespielt – wie machst du das, ohne wahnsinnig zu werden?
Watsky: Es ist ermüdend. Wir sind heute Nacht von Warschau nach München gefahren – da merkst du erst richtig, wie sehr dich sowas anstrengt. Ich meine, wir sind bei dieser Tour mehr rumgekommen als bei jeder Tour zuvor, wir waren in Finnland, in Dänemark, in Schweden. Aber es hat sich gelohnt. Die Shows waren klasse.
Du hast wahrscheinlich überhaupt keine Zeit, dir die Städte, in denen du auftrittst, mal genauer anzusehen.
Ich würde sagen, wir haben bei jedem dritten Stop Zeit, uns ein wenig die Beine zu vertreten. In Amsterdam waren wir zum Beispiel länger, in London auch. München konnte ich mir auch ein bisschen ansehen, als ich hier vor zwei Jahren schon einmal gespielt habe. Auch, wenn wir das Oktoberfest leider verpasst haben.
Glaub mir, das ist kein Verlust.
Ja, wir haben lauter Leute in Lederhosen gesehen. Die repräsentieren wahrscheinlich nicht das „wahre“ München, aber schön fand ich’s auf jeden Fall.
Dein Buch How To Ruin Everything ist ein riesiger Erfolg – zu Recht. Aber in der Einleitung schreibst du, dass du den Titel gerne noch geändert hättest, bevor das Buch in den Verkauf ging. Also, sag mal: Was wäre denn jetzt der Titel, den du dir wünschen würdest?
Oh, ich hatte eine ewig lange Liste mit möglichen Titeln, da standen bestimmt 50 verschiedene darauf. Ich habe kurz überlegt, das Buch The Boy Who Cried MILF zu nennen, so heißt eines der Kapitel. Aber letztendlich bin ich doch ganz froh, es bei How To Ruin Everything belassen zu haben. Der Name passt dann doch am besten.
Du bist gerade 30 geworden, deshalb würde ich gerne – ausgehend vom Titel deines Buches – wissen: Was waren die größten Misserfolge deiner Zwanziger?
Ich denke, ich habe aus den Fehlern gelernt, die ich in meinen Zwanzigern begangen habe, deshalb bin ich mir nicht sicher, ob ich das wirklich als „Misserfolge“ bezeichnen würde. Aber ich habe in dieser Zeit so hart gearbeitet und war so viel unterwegs, dass ich kein besonders ausgewogenes Leben geführt habe. Jetzt möchte ich mich nicht nur auf meine Karriere konzentrieren, sondern auch viel Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden verbringen.
Während dieser Tour kombinierst du deine Show mit einer Lesung – gehst du gerade so ein bisschen zurück zu deinen Wurzeln als Poetry Slammer?
Ein bisschen auf jeden Fall, ja. Poetry Slams waren ein großer Teil meines Lebens – tatsächlich hoffe ich, mich in Zukunft wieder ein bisschen stärker auf Poesie konzentrieren zu können. Vielleicht mache ich sogar eine kleine Tour, wer weiß.
Dann solltest du auf jeden Fall auch in Deutschland vorbeischauen, die Poetry Slam-Szene hier ist ziemlich groß.
Ja, das habe ich schon mitbekommen. Was echt cool ist: Diogenes arbeitet aktuell daran, mein Buch auf Deutsch zu übersetzen. Das ist die erste Übersetzung überhaupt, ziemlich aufregend!
Lass uns noch ein bisschen über dein Album „x Infinity“ sprechen. Du hast eine ganze Menge Arbeit in das Musikvideo zu „Midnight Heart“ gesteckt, sogar eine aufwendige Choreographie gelernt. Warum hast du gerade diesen Song dafür ausgewählt?
Ich mag „Midnight Heart“ wirklich sehr. Da haben so viele Menschen mitgearbeitet, die ich sehr schätze – Anderson .Paak zum Beispiel, der hat mich bei meiner letzten Tour begleitet und nun „Midnight Heart“ produziert. Mir gefiel die Idee, das Ganze als einen Boxkampf zu inszenieren, wahnsinnig gut. Deshalb haben wir uns auch dazu entschieden, so viel Arbeit in dieses Video zu stecken – die Choreo zu lernen war wirklich aufwendig.