Holocaust-Überlebende: „Es ist nicht eure Verantwortung, was passiert ist. Aber es ist eure Verantwortung, was sein wird.“

Hatten Sie auch hoffnungsvolle Momente?

Als ich Geburtstag hatte, schenkte mir eine Freundin ein Gedicht. Das war das schönste Geschenk, was ich in meinem ganzen Leben bekommen habe. Im Revier bekam ich Typhus und schreckliche Krätze. 16 Tage lang hatte ich 40 Grad Fieber ohne Medikamente. Ich wollte mich nicht für eine Behandlung anstellen, denn da war Doktor Mengele. Gott hat mich geheilt, ich weiß nicht wie. Meine Cousine war mein Rettungsengel. Sie hat mich nach Kanada gebracht, das vierte Kommando in dem ich gearbeitet habe. Den Namen Kanada haben die Häftlinge dem Kommando gegeben, denn es war ein Überflussland. Dort mussten wir die Sachen der Ermordeten sortieren. Ich habe Lodz, die Stadt in der ich geboren wurde, in meinen Händen gehalten. In den Paketen waren Kekse, Würste, Brote und Marmeladen. Alles Gute, was man essen kann, habe ich gegessen und habe meine Kraft zurückbekommen. Mit 47 Kilo habe ich Auschwitz verlassen und mir sind zum zweiten Mal die Haare ausgefallen. Ich habe mir geschworen: Wenn ich überlebe, muss ich der Welt davon erzählen. Das Erlebte konnte ich nicht verarbeiten, ohne darüber zu schreiben.

Holocaust Überlebende Batsheva Dagan erzählt ihre Geschichte

Wie ging es für Sie nach der Befreiung des Lagers weiter?

18. Januar ist das Datum der Liquidierung von Auschwitz. Da kam der Befehl „Antreten“ und es ging zum Todesmarsch. Die Welt war bedeckt von Schnee und wer nicht mehr gehen konnte, hat einen Schuss bekommen und im Schnee waren rote Flecken. Drei Nächte sind wir marschiert und in offenen Wägen für Kühe und Kohlen haben wir wie Sardinen gestanden. Nachdem wir von dem Todesmarsch befreit wurden, ging ich mit einigen Freundinnen nach Brüssel und etwas später nach Israel. Ich wollte nicht in Europa bleiben, weil der Antisemitismus zu groß war. Was denken Sie, habe ich nach der Befreiung als Erstes gemacht? Die meisten sagen: Essen. Das ist eine normale Antwort, aber ich habe gelernt. Ich musste etwas machen, was sie mir genommen haben. Deshalb habe ich auch studiert.

Was gibt Ihnen heute Kraft für Ihre Bildungsarbeit?

Ich beschäftige mich auch mit anderen Dingen, gehe ins Theater, höre gerne Musik, besuche Vorträge und trotzdem steckt das, was ich erlebt habe noch in mir. Wir können die Vergangenheit nicht ausradieren. Aber eins hat mich sehr gefreut und motiviert: Die Verfilmung meines Kinderbuches „Chika, die Hündin im Ghetto“ hat in Braunau einen Preis bekommen – an dem Ort, wo Hitler geboren wurde. Wir haben also gewonnen. Wir haben gesiegt.

Foto: Leonie Habisch

Titelbild: Unsplash unter CC0 Lizenz

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