Seyneb Saleh lehnt an einer Wand

Über Vorurteile, Identität und Schauspielerei – Seyneb Saleh im Interview

ZEITjUNG: Das habt ihr in der Serie sehr gut dargestellt, weil man als Zuschauer richtig sehen kann, wie diese Vorurteile gezielt genutzt werden und Personen in ihrem Handeln und Reden beeinflussen, sowohl die deutschen Polizisten, den Flüchtling Fatih, als auch die israelischen Fußballer.

Ich weiß teilweise gar nicht, inwiefern es bewusst in so eine Richtung inszeniert ist und inwiefern manche Bilder nicht einfach nur für sich stehen und ich als Zuschauende meine Vorurteile auf die Figuren projiziere. Da ist beispielsweise ein Bild von der Flüchtlingsunterkunft, einem super tristen Containerlager, wo fünf Männer an einem Tisch sitzen und es liegt an mir, wie ich das wahrnehme und ob ich das schon als Bedrohung empfinde oder milder formuliert, ob ich diese Figuren als sagen wir nicht vertrauensvoll empfinde. Die Figur Fatih macht einen Entwicklungsbogen durch, der mich an ein persönliches Erlebnis erinnert. 2017, als so viele geflüchtete Personen nach Europa gekommen sind, habe ich immer wieder Leuten geholfen, übersetzt und bei Behördengängen begleitet. Da war für ein paar Tage jemand aus dem Gazastreifen bei uns. Eines Nachmittags war ich zu einer Grillparty von Freunden im Garten eingeladen und ich fragte ihn, ob er mitkommen mag. Da dort auch israelische Freunde von mir sein sollten, habe ich ihn vorher gefragt, ob er sich wohlfühlen würde trotzdem zu kommen. Er kam mit und wir verbrachten einen schönen Nachmittag. Irgendwann nach dem Essen saßen wir am Tisch und er war plötzlich wahnsinnig berührt. Er sagte, er hätte noch nie mit einem Israeli zusammen gegessen und er war unglaublich dankbar und glücklich darüber, hier zu sein. Es ist also wichtig, dass es Räume gibt, in denen solche Begegnungen möglich sind und die nicht so politisch aufgeladen sind, dass man sich nicht mehr als Individuen begegnen kann, sondern immer gleich als Stellvertreter von etwas. An ihn muss ich immer wieder denken, wenn ich Fatih in der Serie sehe.

ZEITjUNG: Ein zentraler Satz aus der Serie lautet: „Menschen glauben das, was sie glauben wollen.“ Das fasst auch sehr gut zusammen, was du gerade schon gesagt hast.

Ja, absolut. Ich glaube, wenn man sich den eigenen Glaubenssätzen, denen man aufsitzt, nicht bewusst ist, kann das einen sehr einschränken. Grundsätzlich im Leben, nicht nur bezogen auf politische Positionen. Man glaubt das, was man glauben will. Schuld zuzuweisen und mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist immer einfacher, als sich mit den eigenen Fehlern oder unangenehmen Anteilen in einem selber zu beschäftigen.

ZEITjUNG: Zum Abschluss noch eine leichte Frage, warum wolltest du Schauspielerin werden?

Ich weiß, dass ich als Kind wahnsinnig fasziniert war vom Fernsehapparat. Von diesem Kasten, in dem bunte Bilder flackern. Ich weiß, dass ich immer um das Gerät rumgelaufen bin und versucht habe herauszufinden, woher diese Bilder kommen. Und in dem Moment, in dem mir meine Mutter erklärt hat, dass manche Bilder real sind, etwa die in den Nachrichten und andere Fiktion. Dass das Menschen sind, die eine Geschichte erzählen und, dass man das Schauspielen nennt… von dem Moment an war ich hooked. Ich bin viel mit Film aufgewachsen, weil ich sehr filmaffine Eltern hatte. Klar ändert man als Kind wöchentlich seinen Traumberuf und auch später als Jugendliche hat es immer wieder variiert. Aber der Wunsch, der nie verschwand, sondern immer lauter wurde, war der des Schauspielens.

ZEITjUNG: Und was wäre deine absolute Traumrolle?

Boah, ey! *lacht* Das ist so schwer zu beantworten. Ich liebe Figuren, die widersprüchlich sind oder auch abstoßend. Die eine klassische Heldenreise durchmachen, die viel verlieren, hinter sich lassen und sich ihren größten Ängsten stellen müssen und an sich wachsen. Das ist etwas unglaublich Tolles zu spielen. Grundsätzlich gibt es viele Figuren, die klassisch von Männern besetzt werden, bei denen ich oft denke, es wäre viel spannender, wenn es eine Frau spielen würde. Maria ist schon so ziemlich eine Traumrolle, weil sie so vieles sein darf. Liebevoll und eiskalt, hart und fragil, analytisch und intuitiv, getrieben, stur, mutig, stolz, ehrgeizig, leidenschaftlich. Sie ist Mutter, Liebhaberin, Ehefrau und berufstätig. Alles das, was eine Frau eben sein kann.

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Bildquelle: Jeanne Degraa