Seyneb Saleh lehnt an einer Wand

Über Vorurteile, Identität und Schauspielerei – Seyneb Saleh im Interview

ZEITjUNG: Die Serie spielt eindrücklich durch die Dialoge und Darstellungsweise mit Vorurteilen gegenüber der arabischen Kultur. Du bist selbst Deutsche mit irakischen Wurzeln. Sind dir diese Vorurteile auch begegnet im Leben?

Ja, natürlich.

ZEITjUNG: Inwiefern?

Es ist halt ein riesiges Feld. Das fängt an mit „Oh, Sie sprechen aber gut Deutsch“ und geht dann damit weiter, dass impliziert wird, dass es unglaublich schwierig und wahnsinnig streng gewesen sein muss, bei einem muslimischen Vater aufzuwachsen. Es ist schwierig, sich frei zu entfalten, wenn man sich immer an einer Wand von Vorurteilen abarbeiten muss. Das hat mich in meiner Entwicklung und Persönlichkeitsbildung als Jugendliche lange begleitet und viel Kraft gekostet. Das Perfide ist, dass diese Vorurteile sogar irgendwann in mein Bewusstsein eingedrungen sind. Es gab auch Jahre, in denen ich auf meinen Vater mit einem total rassistischen Blick geguckt habe. Diese Rassismen sind allgegenwärtig. Keiner ist davor gefeit.

ZEITjUNG: Wie hat dich das denn in deiner Identität und deiner Sicht auf deinen Vater beeinflusst?

Ich würde sagen, dass ich ein verfälschtes Bild auf ihn hatte bzw., dass sich das Bild über die Jahre angefangen hat zu verfälschen. Obwohl mein Vater jemand ist, der mich immer in allem bestärkt und mich in meiner Freiheit und Selbstbestimmtheit unterstützt hat, habe ich ihm paradoxerweise in bestimmten Momenten unterstellt, dass er damit ein Problem hätte. Ich habe es in seine Reaktionen hinein projiziert, obwohl es meiner Lebensrealität und meinen Erfahrungen mit ihm nicht entsprochen hat. Es war an die Vorurteile in meinem Kopf gebunden. Das stand über Jahre zwischen uns.

ZEITjUNG: Gab es eine bestimmte Situation oder wie hast du es geschafft, dich von den Vorurteilen zu lösen?

Ich habe meinem Vater erst spät meinen damaligen Partner vorgestellt. Da waren wir schon vier, fünf Jahre zusammen. Meine Befürchtung war, dass er ein Riesenproblem damit haben würde, dass ich unverheiratet mit jemandem zusammenlebe. Ich habe ihm das alles vorenthalten und ihn an diesem Teil meines Lebens nicht teilhaben lassen. Als ich es ihm dann erzählte und ihm sagte, dass ich ihm meinen Freund vorstellen will, war er gekränkt. Er war gekränkt aus dem Grund, dass er ihn erst so spät kennenlernte. Ich wiederum habe in seiner Reaktion meine Angst und meine Vorurteile bestätigt gesehen. Als sie sich dann zum ersten Mal kennenlernten, wurde mein Freund mit offenen Armen liebevoll empfangen. Und ich habe sehr über mich lachen müssen. Das war, glaube ich, das ausschlaggebende Erlebnis. Der Moment, in dem ich meine eigenen Rassismen erkannte. Ich hatte Angst vor etwas, was völlig aus der Luft gegriffen war. Und ich habe daran gemerkt, wie stark diese Prägungen sein können, obwohl man klüger sein müsste und obwohl es sich dem wirklich Erlebten total entzieht. Realität ist die eine Sache. Die Wahrnehmung der Selbigen, eine andere.

ZEITjUNG: Hast du das Gefühl, dass man oft auf diese Vorurteile reduziert wird?

Sagen wir mal so, ich erlebe häufig Situationen, in denen ich den Eindruck bekomme, dass ich nicht als Individuum wahrgenommen werde, sondern reduziert werde auf Klischeevorstellungen meines Gegenübers. Und dass dieser Blick dann überhaupt nicht zulässt, dass man sich tatsächlich begegnet.

ZEITjUNG: Was würdest du den Leuten raten, die auch mit diesen Vorurteilen zu kämpfen haben?

Man muss sich auf die Situation einlassen, in der man sich tatsächlich befindet und sich auf den Menschen fokussieren, dem man tatsächlich gegenübersteht. Wenn man dann noch ein gewisses Maß an Selbstreflexion mitbringt, behaupte ich mal, dass man den Unterschied spürt. Was da Vorurteil oder die Angst ist und was die reale Begebenheit. Oft hat es ja auch damit zu tun, dass Menschen gar nicht wirklich in Kontakt kommen. Viele Menschen mit Vorurteilen sind noch gar nicht richtig in Berührung gekommen mit beispielsweise ihrem türkischstämmigen Nachbarn. Ich glaube, wenn man sich wirklich begegnet und wirklich in Kontakt kommt, dann lösen sich diese Vorurteile sehr schnell auf.

ZEITjUNG: Wie gehst du heute damit um, wenn dir diese Ängste, Vorurteile oder der Rassismus gegenüber Arabern oder Muslimen begegnet?

Mit den Jahren ist es mir gelungen, es nicht mehr persönlich zu nehmen, sondern eine Distanz herzustellen und dem eher mit Humor zu begegnen. Das ist das eine und das andere ist: Ich bin ich. Und wenn ich nicht in deine Schubladen passe, ist das nicht mein Problem. Ich war lange darin gefangen, Menschen, die mir meine Identität absprechen wollten – meine Deutsche – und mich auf ihre rassistisch gefärbten Klischees reduziert haben, überzeugen zu wollen. Aber ich diskutiere mit niemandem mehr über meine Identität. Wer ich bin und als was ich mich begreife, bestimme ich. Ich bin frei. Und es zu bleiben, liegt in meiner Hand. Bei dem Versuch, solche Menschen überzeugen zu wollen, kann man nur scheitern und begibt sich in Abhängigkeiten.