Warum wir alle Ignoranten sind
Ich sitze im Bus auf dem Weg zur Uni und scrolle durch meinen Facebook-Feed, wie jeden Morgen. Wie jeden Morgen sind auch die Meldungen, die ich lese, ähnlich. Krieg in Syrien, Krieg in Nigeria, Krieg in Mali, Umweltkatastrophen, Klimawandel, sexuelle Ausbeutung, moderne Sklaverei, rechte Gewalt, gescheiterte Revolutionen, Tote. Dazwischen Katzenvideos, Rezeptvorschläge und Urlaubs-Selfies meiner Freunde.
Nach 15 Minuten ist mein Bus an der Haltestelle und ich steige aus, gehe in die Bibliothek und beschäftige mich mit meiner Hausarbeit über das Konzertverhalten von Rechtsextremen. Das gibt mir auch nicht gerade den Glauben an die Menschheit wieder, aber es ist seltsam beruhigend, sich mal nur auf ein gesellschaftliches Problem konzentrieren zu müssen.
Aufmerksamkeit und Empathie abschalten
Jeden Tag erreichen uns Nachrichten von den Schrecken dieser Welt. So viele, dass wir gar nicht mehr wissen, ab welchem Punkt wir von Empörung zu Trauer zu Resignation übergehen sollen. Wir überfliegen nicht nur den Lokalteil der Tageszeitung, so wie unsere Großeltern es tun. Wir lesen Meldungen und Hintergrundberichte über Krisen aus der ganzen Welt. Einen Punkt haben wir jedenfalls schnell erreicht: die Ignoranz. Wir lesen einen Artikel, hören einen Radiobeitrag oder sehen eine Nachrichtensendung und schalten ab. Nicht nur den Fernseher, sondern auch unsere Aufmerksamkeit, und damit unsere Empathie.
Ist das wirklich so? Nutzen wir es aus, in dem wohl sichersten Gebiet der Erde zu wohnen, um uns von den Schrecken dieser Welt zu distanzieren?
Vielleicht ist es wirklich unsere First-World-Problem-Arroganz. Vielleicht ist es aber auch nur ein Schutzmechanismus. Wir versuchen, uns davor zu schützen, völlig unser Vertrauen in unsere Umwelt und Zukunft zu verlieren. Wenn wir all diese Schreckensmeldungen so nah an uns heranlassen, als wäre es die beste Freundin gewesen, die bei den letzten Anschlägen gestorben ist, würden wir unseres Lebens nicht mehr froh werden.
Zurück zum Avocadosalat-Rezept
Also beginnen wir, zu selektieren. Globale Erwärmung? Bei uns noch kein Thema! Krieg? Hat uns noch nicht erreicht! Rape Culture? Doch nicht in Deutschland! Das beruhigt fürs Erste, bis zur nächsten Pause, die wir mit dem Newsfeed auffüllen. Dann überlegen wir wieder, erschrecken uns jedes mal aufs neue, bis wir schließlich resignieren. Ab dem Punkt haben wir zwei Möglichkeiten: Wir sind so erschlagen, dass wir alles von uns wegschieben und uns wieder mit der Suche nach einem Avocadosalat-Rezept begeben. Oder wir gestehen uns ein, dass unser behütetes Leben die Ausnahme ist und überlegen, was wir tun können, damit es irgendwann umgekehrt ist.