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Instagram: „Du bist auf dem neuesten Stand“ – Hilfreich oder scheinheilig?

Digitales Bilderbuch, Fotoalbum und Postkarte in einem: Instagram ist ein Allrounder. Wir müssten schon gar nicht mehr anders miteinander kommunizieren. Alle anderen Apps können einpacken. Seit kurzem zeigt uns ein leuchtend grüner Punkt, wer gerade online ist. Wenn wir dort bisher nur zum ungestörten Stalken unterwegs waren, werden wir jetzt also darauf aufmerksam gemacht, bitte auch miteinander zu schreiben. Aber Instagram informiert mich seit kurzem auch über etwas, das mich noch mehr irritiert: „Du bist auf dem neuesten Stand.“

In meinem Feed taucht vor dem Post, den ich beim letzten Scrollen schon gesehen habe, diese Meldung auf. Ich habe alle Beiträge der vergangenen 48 Stunden gesehen. Und manchmal ist es direkt nach dem obersten, also neuesten Post. Was bedeutet, dass ich vor fünf Minuten das letzte Mal nachgesehen haben muss. Das weiß ich ja, verdränge es aber ganz gut. So wird mir der direkte Spiegel vorgehalten und meine Sucht oder Langeweile vor Augen geführt. Und das von Instagram selbst. Ob das so klug ist? Man könnte ja meinen, dass mich das abschreckt und sich dadurch mein Konsum verringert.

 

Ist das sozial?

 

Aber das ist wohl Absicht. Instagram möchte auf die Vorwürfe reagieren, suchterregend zu sein. Die Plattform möchte vermutlich zeigen: Wir tun eben nicht alles dafür, unsere Nutzer bei uns zu halten. Und helfen jetzt sogar noch dabei, einen besseren Überblick zu bekommen. Gerade, weil der Algorithmus Chronologie nicht mehr beachtet und die Nutzer damit verwirrt. Also alles nur gut gemeint.

Doch wer sich sozial nennt, sollte auch auf die Gefühle seiner Nutzer achten. Fühle ich mich wohl dabei, diese Meldung zu lesen? Nein. Es macht mir ein schlechtes Gewissen. Die Meldung schreit mir förmlich ins Gesicht: „Du bist bei Instagram zwar auf dem neuesten Stand, aber in Sachen Statistik ganz bestimmt nicht.“ Schnell schließe ich die App und lege mein Handy weg. Doch Instagram scheint auch genau zu wissen, dass es mich nicht davon abhält, wiederzukommen. Es ist sich seiner Sache sicher.

Letztendlich machen die Nutzer die Plattform sozial und nicht ihre Anwendungen. Es ist nicht die ursprüngliche Aufgabe eines sozialen Netzwerks, mich zu pampern und mir ausschließlich gute Gefühle zu geben. Doch Instagram hat in den letzten Jahren sehr viel dafür getan, mich als Nutzer so viele Minuten wie möglich auf der Plattform zu halten. Es hat mich also sehr wohl gepampert und mir gute Gefühle gegeben. Ich bekomme Werbung für Taschen, über die ich mich ein paar Minuten vorher mit einer Freundin unterhalten habe. Ich werde mit Stories meiner Vorbilder unterhalten. Ich soll jetzt auch noch mit meinen „Freunden“ chatten. Ein bisschen scheinheilig ist das schon. Und ein bisschen verderben mir grüne Punkte und solche Meldungen den Spaß am Stalken und Inspirieren und Vertreiben von Langeweile und unangenehmen Gedanken.

 

Es ist nicht schlimm, nicht auf dem neuesten Stand zu sein

 

Mal abgesehen davon bin ich sicher nicht auf dem neuesten Stand. Denn ich bin nie auf dem neuesten Stand. Auf dieser Welt passiert viel zu viel in viel zu kurzer Zeit. Niemand könnte jemals behaupten, auf dem neuesten Stand zu sein. Will mir Instagram damit unterschwellig das Gefühl geben, wenigstens in einem Bereich meines Lebens alles gesehen und gelesen zu haben? Alles zu kennen und zu wissen? Und damit wenigstens in einer Hinsicht die Kontrolle zu haben?

Ein klein wenig beruhigend ist es. Mit den Worten „Du bist auf dem neuesten Stand“ weiß ich zumindest, dass ich nichts verpasst habe. Aber was in dieser Blase ist so bedeutend für die Welt, dass ich wirklich etwas verpasse, wenn ich es nicht sehe? Die Wahrheit ist: Nichts. Die Bubble ist inspirierend, kreativ, unterhaltsam und ab und zu sogar bildend. Und trotzdem passiert dort nichts so krass Wichtiges, sodass es mich beunruhigen sollte, nicht auf dem neuesten Stand zu sein. Es ist absolut nicht schlimm, nicht auf dem neuesten Stand zu sein. Besonders nicht zwischen Fotos von Stränden und Avocados.

 

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz