Schönheit-Schwester-Instagram-Selfie

Wer schön sein will, braucht Likes – die traurige Wahrheit der Generation Z

Mir schießen Tränen in die Augen, wenn sich meine kleine Schwester wegdreht, weil sie nicht will, dass ich sie im Bikini sehe. Sie ist 13. Ein schwieriges Alter, ich weiß. Ein Alter, in dem keine Körperstelle schön genug ist. Ein Alter, in dem jedes Mädchen an sich zweifelt. Das ist ganz normal. Und trotzdem möchte ich es nicht akzeptieren, dass sich meine Schwester so unwohl fühlt. Ich möchte sie am liebsten ständig in den Arm nehmen und mit 1000 Komplimenten überschütten. Und wünsche mir, dass zumindest zehn davon ankommen. Doch ich sehe sie bildlich von ihr abprallen. Auch, weil ich mich so gut in ihre Lage versetzen kann.

Ich weiß, dass ich mich inzwischen recht wohl in meinem Körper fühle, weil ich eben auch diesen ganzen Scheiß durchgemacht habe. Ich musste spüren, um zu verstehen. Aber genau deshalb habe ich diesen inneren Drang, sie davor zu schützen. Ich denke schon eine Weile darüber nach, wie ich damit als große Schwester umgehen kann. Und habe dabei festgestellt, dass sie neun Jahre später mit ganz anderen Idealen zu kämpfen hat.

Alles dreht sich um Schönheit

Sie macht Selfies von sich, die sie nach der Verwendung von zehn Filtern auf Instagram postet. Der erste, naheliegende Gedanke: Wie paradox, dass sie sich nicht schön findet, aber Selfies postet. Der zweite: Sie hebt das Paradoxon auf, indem sie zehn Filter drüber schiebt. Auf ihren immer noch kleinen Schultern lastet der Druck, Fotos zu schießen, um mitzuhalten. Insta-Posts sind die Währung – sozusagen die Diddl-Blätter – von heute. Also macht sie sich künstlich schön, wenn ihre eigene Schönheit ihrer Meinung nach nicht ausreicht.

All ihre Freundinnen machen es genauso. Sie werfen ihre Haare 50 Mal über die Schulter, um den perfekten Boomerang posten zu können. Sie ziehen Schnuten und vergrößern ihre Augen im Nachhinein. Manchmal könnte ich, wenn ich es nicht besser wüsste, nicht einschätzen, ob die Mädels auf den Fotos 13 oder 19 sind.

Wer nicht dazugehört, wird ausgelacht und ausgeschlossen. Das war schon immer so. Auch ich bin da durch. Aber heute heißt nicht dazugehören: keinen Instagram Account haben und mit seinem Nicht-IPhone nicht ständig Fotos von sich machen. Wer cool sein will, muss sich mit seinem Gesicht präsentieren. Es geht also immer um Schönheit.

Eva O’Leary fotografiert Mädels vor dem Spiegel

Die Künstlerin Eva O’Leary hat beobachtet, wie sich junge Mädchen selbst fotografieren und sich gleichzeitig unwohl fühlen. Sie sagte in einem Interview mit dem Maake Magazine, dass sie selbst immer ein Außenseiter gewesen sei. Auf ihrer Schule sahen alle aus wie Britney Spears und sie und ihre Freundinnen überlegten sich, wie sie sich verhalten müssten, um mitzuhalten. Ihre Motivation: „Ich wollte unbedingt ’normal‘ sein, wusste aber nicht, dass das amerikanische ’normal‘ eine giftige Lüge war.“ Heute ist genau das der Antrieb für ihre Arbeit: „Immer, wenn ich in meine Heimat komme, merke ich den Druck dieser ‚Normalität‘. Das erinnert mich daran, warum ich tue, was ich tue.

Für ihr Projekt „Spitting Images“ lud sie US-amerikanische Mädchen zwischen 11 und 14 Jahren ein und setzte sie vor einen Spiegel. Sie selbst stand dahinter und konnte von ihrer Seite durchsehen. Die Mädchen wussten allerdings nicht, wann die Fotografin abdrücken würde. Bei Selfies drücken sie ab, wann sie es wollen und wann sie sich am schönsten fühlen. Bei dem Projekt konnten sie nichts beeinflussen und kontrollieren. Dadurch konnte Eva gut darstellen, wie sich die Mädchen verhalten, wenn sie nicht gerade posen und sich mehrere Minuten selbst betrachten. Die Fotos wurden natürlich ohne Filter veröffentlicht.

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Die Mädchen sind ungeschminkt, die Fotos nicht gestellt. Alles ist natürlich. Alle sind sie auf ihre Weise wunderschön. Aber den Gesichtsausdrücken lässt sich entnehmen, dass sie selbst ganz anderer Meinung sind. Vor sich sehen sie die Realität, denn der Spiegel hat keinen Filter eingebaut. Vermutlich wäre mir auch nicht ganz wohl dabei. Doch genau da liegt der Punkt, den uns Eva O’Leary aufzeigt: Das Leben findet in der Realität statt und nicht in irgendwelchen digitalen Accounts, die zwar unseren Namen tragen, aber getaucht in weichzeichnende Filter allerhöchstens eine Realität abzubilden versuchen.

Jeder darf sich schön finden wollen

Auch wenn das Ideal von Schönheit unter den jungen Mädels und Jungs gerade in ganz anderen Dimensionen und Formen auftritt, weiß ich, wie es sich anfühlt, sich nicht schön genug zu fühlen. Da ich jedoch seit ein paar Jahren nicht mehr zuhause wohne, kann ich meine Schwester eben nicht ständig in den Arm nehmen, vor selbstzerstörerischen Gedanken schützen und mich minutenlang mit ihr vor einen Spiegel setzen. Ich kann nicht wirklich Einfluss haben. Und wenn ich zuhause bin, gibt sie vermutlich mehr auf die Meinungen ihrer Freundinnen als auf meine.

Sie muss ihre eigenen Erfahrungen machen und trotzdem möchte ich sie auf meine eigene Art unterstützen. Ich will ihr nicht vorhalten, wie dämlich das Vergleichen von Likes und Followern und das unverhältnismäßige Verwenden von Filtern ist. Vor neun Jahren wollte ich auch von niemandem hören, wie doof es ist, stundenlang darauf zu warten, dass jemand mein Schüler-VZ-Profil besucht. Viel eher möchte ich verständnisvoll sein.

Und dann mache ich ein Selfie mit ihr und poste es ohne Bearbeitung auf Instagram, um wenig später all die Komplimente darunter zu lesen. Denn jeder darf sich schön finden wollen, jeder darf sich präsentieren, jeder darf sich über Komplimente freuen. Solange es aus Spaß heraus passiert und die dargestellte Schönheit nicht mit der echten, puren, natürlichen Schönheit verwechselt wird, die jeder in sich trägt.

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Titelbild: Unsplash unter CC0 Lizenz

Bildquelle: © Eva O’Leary