verschiedene Figuren in Regenbogenfarben

Unsichtbare Behinderungen

Stehst du denn im Austausch mit anderen, die auch ähnliche Erkrankungen haben wie du?
JA. Ich bin in mehreren Selbsthilfegruppen aktiv. Dort sind wir vernetzt und haben uns auch vor Corona mal persönlich getroffen. Das hilft natürlich auch einem selbst, dass man die Behinderung akzeptieren kann. Vor allem, wenn von Seiten der Ärzte Unverständnis kommt und einem keine Akzeptanz entgegenschlägt, was man ja eigentlich voraussetzt bei Ärzten. Und dann denkt man selbst „Na ja, was stimmt mit dir jetzt nicht? Bildest du dir das nur ein oder bist du einfach nur zu empfindlich?“ Und dann triffst du eben auf Leute, denen es genauso geht und das hilft noch mal sehr viel.

Sind die Selbsthilfegruppen privat organisiert oder von einem Verein?
Es gibt welche über Vereine, in denen ich aktiv bin und ganz viele auch auf Facebook. Zum Beispiel bei der Hypermobilität gibt es die Ehlers-Danlos-Society, die ist europaweit organisiert. Die Erkrankten in Deutschland sind zu wenig, um das nur auf deutscher Ebene zu machen, von daher ist das meistens europaweit organisiert. Die machen auch ganz viele Videos, die über die Krankheiten aufklären oder auch Workshops. Sodass man auch als Patient besser informiert ist und im Zweifelsfall die Ärzte informieren kann. Das ist auch so was bei den Krankheiten: Dass man als Patient besser informiert ist als mitunter der behandelnde Arzt. Das ist leider sehr oft der Fall. Aber das hat man auch nur den Organisationen zu verdanken. 


Was meinst du, warum ist da bei den Ärzten noch so ein Unwissen bzw. Unverständnis?
Es ist zum einen schwer diagnostizierbar bzw. relativ schwer einzuschätzen, auch, was die Schwere der Behinderung anbetrifft. Zum anderen sind gerade so Krankheiten wie das Hyper-Mobilitäts-Syndrom oder die Dystonie relativ selten. Wobei ich der Meinung bin, dass die Dunkelziffer hoch ist, eben wegen der Schwierigkeit bei der Diagnostik. Es ist zudem auch kostenaufwendig. Man braucht Bandagen, man braucht sehr viele Heilmittel, sprich Physiotherapie. Die Dystonie, kann auch den Kehlkopf betreffen – da braucht man dann Logopädie. Kurzum: Wir sind nicht gern gesehene Patienten, weil wir nur Kosten verursachen.

Was bedeutet das Inklusion für dich?
Inklusion würde hier auf jeden Fall bedeuten, dass die Krankheiten als Behinderung anerkannt werden. Auf amtlichem Wege ist es jetzt teilweise so. Da gibt es aber immer noch Krankheiten, wo es darum geht, den Grad der Behinderung zu regeln. Wie zum Beispiel das Hypermobilitäts-Syndrom, die Fibromyalgie oder das Ehlers-Danlos Syndrom. Die gibt’s in dieser Verordnung noch gar nicht. Was amtliche Wege enorm erschwert. Und in der Öffentlichkeit ist es ganz oft so, dass die Leute überhaupt gar nicht wissen, was das für eine Krankheit ist. Die Leute haben noch nie davon gehört. Wenn im Gespräch das Interesse da war und man hat es erklärt, dann kam immer: „Jetzt verstehe ich, warum du nicht mehr arbeiten kannst oder warum du einen Behindertenausweis hast.“ Vorher war das Wissen nicht da und infolgedessen kann auch die Akzeptanz gar nicht da sein


Was würdest du den nicht betroffenen Menschen gerne mitgeben, damit Sie das vielleicht besser nachvollziehen können oder mehr Verständnis haben?
Ich denke, das Problem liegt allgemein in der Anerkennung von unsichtbaren Behinderungen. Ich denke, in der Gesellschaft ist es eher so, dass Behinderung gleichgesetzt ist mit einer Person, die im Rollstuhl sitzt. Da fehlt eben weitgehend das Verständnis für unsichtbare Behinderungen. Das wird ganz oft nicht ernst genommen, auch Ärzte sagen „Na, sind sie doch froh, dass sie so gelenkig sind.“ Aber, dass das Schmerzen verursacht, die Gelenke kaputt macht und tatsächlich eine Behinderung darstellt, das interessiert niemanden. Da sind Menschen dabei, die sich mehrmals täglich verschiedene Gelenke ausrenken beim Gehen und das schränkt natürlich enorm ein. Schmerzen sind nun mal unsichtbar. Und dann ist die Akzeptanz nicht so groß. Über viele Krankheiten, die eine unsichtbare Behinderung darstellen, wird viel zu wenig aufgeklärt.


Hast du zum Schluss etwas, das du jemandem mitgeben würdest, der vielleicht auch in der Situation ist oder mit einer unsichtbaren Behinderung zu kämpfen hat?
Na also, jemand der selbst betroffen ist, dem kann ich definitiv ans Herz legen, sich zu vernetzen. Das ist eine ganz, ganz große Hilfe, bei allen unsichtbaren Behinderungen. Egal ob das jetzt eine Depression ist oder Ehlers-Danlos-Syndrom, Dystonie oder Schmerzerkrankungen. Auf jeden Fall vernetzen, denn der Austausch hilft sehr viel und die Informationen, die man kriegt, die helfen auch. Das ist also eine ganz wertvolle Sache.

Mehr Informationen zu den genannten Krankheiten:

Ehlers-Danlos-Syndrom

Dystonie

Rheuma

disabled-world.com

Mehr zu Inklusion und Barrierefreiheit in den Medien: 

leidmedien.de

sozialhelden.de

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Bildquelle: Katie Rainbow, CO0 Lizenz