verschiedene Figuren in Regenbogenfarben

Unsichtbare Behinderungen

Wenn man an Menschen mit Behinderungen denkt, hat man oft das klassische Bild einer Person im Rollstuhl oder mit Blindenstock vor Augen. ,Behinderungen´ sind aber für die Betroffenen auf verschiedenen Dimensionen erfahrbar. Sie kann die Körperstruktur und -funktion, Aktivität und Teilnahme sowie deren Beschränkungen umfassen. Behinderungen, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind, werden auch ,unsichtbare Behinderungen´ genannt. Im Folgenden erzählt Yvonne Reis von ihrem Leben mit (fast) unsichtbaren Behinderungen. 

Ich bin Yvonne Reis, 43 Jahre alt und Mama von einer zehnjährigen Tochter. Meine Behinderung setzt sich aus verschiedenen Krankheiten zusammen, und zwar zum einen aus Psoriasis Arthritis, also Schuppenflechte Arthritis, die vorwiegend die Finger- und Zehengelenke betrifft. Dann habe ich seit meiner Geburt Hypermobilität, also sprich ein schwaches Bindegewebe, welches die Gelenke nicht immer so stabilisiert wie es sollte. Dann kommen noch ein angeborenes Hohlkreuz und Schlafapnoe dazu, was auch mit der Mobilität zu tun hat. Die Schlafapnoe führt dazu, dass ich mit Beatmungsgerät schlafen muss, weil das Bindegewebe nicht stark genug ist, um die Atemwege konstant aufrechtzuerhalten. Tja, und weil das alles noch nicht genug war, habe ich noch eine Myoklone Dystonie. Das ist eine neurologische Erkrankung, bei der der Muskeltonus gestört ist. Sprich etliche Muskeln sind dauerangespannt, was dann auch in unwillkürliche Zuckungen vom Kopf resultiert 


Wie schränkt dich deine Behinderung im alltäglichen Leben ein? 
Es ist immer Tagesform abhängig. Was fast alle Krankheiten zusammen haben ist, dass sie sehr, sehr viel Energie rauben. Ich bin chronisch erschöpft, wie ein kaputter Handy Akku, der immer nur so auf halber Leistung läuft. Was sich halt gesellschaftlich bemerkbar macht, dass ich jetzt eben nicht mehr mit aufs Konzert gehen kann. Ich würde zwar gerne, aber ich weiß, dass ich es nicht schaffe. Da ist einfach nicht genug Energie da. Je nachdem wie es von den Medikamenten eingestellt ist, kommt dann auch immer mal wieder so ein Rheuma Schub dazwischen. Ich habe natürlich auch vergessen zu sagen, dass ich noch ein chronisches Schmerzenssyndrom habe, was aber wohl auch die Summe von dem Ganzen ist. Und dann gibt es eben schlechte Tage, wo alles weh tut, da geht gar nichts.


Was bedeutet ein chronisches Schmerzsyndrom?
Es ist so, dass die Schmerzverarbeitung gestört ist. Was zum einen bedingt ist, durch die ständigen Schmerzen und zum anderen auch, weil ich zu Beginn der Erkrankung ganz lang keine Schmerzmittel genommen habe. Dadurch chronifiziert sich der Schmerz und es bildet sich ein Schmerzgedächtnis. Dann reagiert der Körper immer gern, wenn er überlastet ist mit Schmerzattacken, wo dann alles weh tut wie Muskelkater plus Grippe.


Hast du deine Behinderungen im Laufe des Lebens erworben oder sind sie angeboren?
Es ist so, die Hypermobilität und das Hohlkreuz sind angeboren. Da hatte ich also schon immer Probleme. Ich habe mich aber auch ganz gut damit arrangiert. Aber da hat sich jetzt mit der Zeit Verschleiß gebildet. Das ist das, was jetzt große Probleme macht. Diese Dystonie, die ich auch schon länger habe, hat sich mit dem ersten Rheumaschub verschlechtert. Der erste Schub war 2018 und mit dem Rheuma kam dann auch die Schmerzerkrankung.


Wie ist das, wenn du Leuten davon erzählst? Begegnet dir viel Unverständnis?
Zu Beginn war sehr viel Unverständnis da. Da kam immer: „Du musst dich nur mal mehr bewegen und dann wird das wieder.“ Ich habe vorher schon viel Sport gemacht und eben wegen der Erkrankung aufgehört, weil es gar nicht mehr ging. Dann kamen natürlich Cortison, die ganzen Medikamente und nochmal 20 Kilo mehr dazu. Das wird dann natürlich ganz oft auch aufs Übergewicht geschoben: „Du musst nur mal abnehmen, musst nur mal Sport machen.“ Es ist aber relativ komplex und ganz viele, auch im Bekanntenkreis, verstehen die Erkrankung gar nicht so richtig. Sie haben es mittlerweile angenommen, aber richtig verstehen tun sie es immer noch nicht. Im engsten Freundeskreis ist das Verständnis größer. Die haben oft miterlebt, wenn es mir nicht so gut ging oder waren schon mal dabei, wenn ich mir die Hüfte ausgerenkt habe. Sie verstehen das dann, weil sie es hautnah miterlebt haben


Wie ist es mit deiner Tochter?
Die findet es ganz oft doof, dass die Mama manche Sachen nicht mehr mitmachen kann. Wir haben früher öfters mal Familienwanderung gemacht. Das geht eben alles gar nicht mehr. Und das findet sie nicht so schön, aber sie versteht es auch. Sie erzählt in der Schule, wie es ist und sie hat es akzeptiert, würde ich sagen.

Wie ist es denn für dich, hast du mittlerweile dein Leben mit Behinderung akzeptieren und annehmen können?
Jein. Ich weiß nicht, ob man das jemals so ganz akzeptiert. Es dauert, bis man sich damit zurechtfindet. Wenn du von jetzt auf nachher querschnittsgelähmt bist, dann machen deine Beine einfach nichts mehr und dann ist das so. Dann musst du das akzeptieren. Wenn du aber wie ich eine Behinderung hast, wo es schwankt – Ein Tag besser und am anderen Tag geht gar nichts – dann musst du eben zusätzlich zu dem Akzeptieren, dass es nicht mehr geht, auch noch lernen, dir selbst Grenzen zu setzen.. Dass du nicht gleich einen Baum ausreißen willst, wenn es mal besser ist. Das kommt bei dieser Art von Behinderung noch dazu, dass man sich eben runterschrauben muss, auch wenn es mal besser geht. Und da dann die Grenzen zu finden, ist eben auch schwierig.