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Käppi statt Kippa: Was es bedeutet, als Jude in Deutschland zu leben

Von Katharina Kunert

Schusssicheres Büro, Adresse geheim halten und Kippa verstecken – was sich anhört wie aus dem Geschichtsbuch ist in Deutschland für viele Juden Alltag. Dalia Grinfeld, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion erzählt wogegen und wofür sie und andere junge Juden kämpfen.

Dalia Grinfeld sitzt heute nicht hinter Panzerglas. Das schusssichere Büro der Jüdischen Studierenden Union steht heute leer, denn sie muss Interviews für Zeitung und Fernsehen geben. Israel feiert dieses Jahr seinen 70. Geburtstag und die amtierende Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion hat kaum noch eine freie Minute.

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„Heute ist mal wieder einer dieser Tage“, sagt sie und lacht. Erschöpfung sieht man der 23-Jährigen auch nach einem langen Arbeitstag voller Pressetermine nicht an.
Nur der überquellende Terminkalender auf dem kleinen Holztisch vor ihr verrät sie. Doch zu Israels 70. Jubiläum kann Dalia keine euphorischen Festtagsreden halten. Zu präsent ist der sich immer wieder aufbäumende Antisemitismus in Deutschland – vor allem in Berlin machen vermehrt Übergriffe auf jüdische Bürger und offen ausgelebter Israelhass Schlagzeilen.

 

Kette mit Davidstern: In Berlin vielerorts ein No-Go

 

„Viele jüdische Eltern haben manchmal, zu Recht, Angst um die Sicherheit ihrer Kinder. Es gibt immer wieder Vorfälle in Neukölln aber auch Charlottenburg und Co. – da fühle ich mich auch nicht wohl, mit Davidstern herumzulaufen“, erzählt sie. Seit gut einem Jahr ist Dalia Präsidentin des 2016 gegründeten Verbands JSUD. Dort engagieren sich junge jüdische Studierende für bessere Konditionen an den Unis und für mehr öffentliche Präsenz jüdischen Lebens. Jüdische Kultur könnte so bereichernd für die Gesellschaft sein, findet sie Dalia, doch richtig angekommen ist es noch nicht. „Jüdisches Leben in Deutschland ist keine Normalität. Man kennt Juden immer nur schwarz weiß aus dem Schulbuch wegen des Holcocaust und dann nochmal in Flammen aus dem Fernsehen, wegen des Nahost-Konflikts. Dazwischen gibt es nichts“, sagt sie.

Viele Leute zeigten aber Interesse. Seien es die neugierigen Blicke auf den Davidstern an ihrer Kette oder Nachfragen à la: „Jüdin? Echt? Ich habe noch nie einen Juden getroffen.“ „Das Interesse ist da“, sagt Dalia, „aber die Lehre von jüdischem Leben wird von vielen Bildungseinrichtungen weder geboten noch unterstützt.“

Selber besuchte sie von Beginn an jüdische Einrichtungen: Vom Kindergarten über die Grundschule bis zur Oberschule. Umso überraschter war Dalia, als sie an der Universität feststellen musste: Auf religiöse Feiertage wird dort keine Rücksicht genommen. So gibt es beispielsweise Exkursionen am Schabbat, der von Freitag Abend bis Samstag Abend geht und an dem Juden weder den Fahrschein bei sich tragen dürfen noch Verkehrsmittel nutzen.

In einigen Fällen verlängert sich sogar das Studium auf unbestimmte Zeit. „Ich kenne Studierende, deren Examen ausgerechnet auf Jom Kippur, unseren höchsten Feiertag gefallen ist. Die mussten extra ein Jahr warten, um an einem anderen Datum das Examen abzulegen – das im Zweifel wieder auf einen anderen Feiertag fällt“, sagt Dalia. Klar, Universitäten seien nicht religiös – aber: „An Weihnachten werden auch keine Klausuren geschrieben.“

 

Als Jude meinungslos zu Israel? Unmöglich!

 

Diskriminierung an der Universität läuft manchmal subtil manchmal sehr direkt ab. Dalia erinnert sich an Vorlesungen in ihrem Politikstudium, in denen es um den Israel-Palästina Konflikt ging. Hundert Köpfe im Hörsaal drehten sich in solchen Momenten schlagartig zu ihr – was würde die Jüdin dazu sagen? Wenn es zum Beispiel um Japan-Politik ging, drehte sich sich jedoch kein Kopf. „Als Jude in Deutschland hast du nicht die Option meinungslos zu sein, zu dem Konflikt. Juden werden sehr oft mit dem Staat Israel gleichgesetzt.“

Dass dieses Gleichsetzen nicht beim Köpfe-Wenden bleibt, erfuhr Dalia in ihrer Uni-Bibliothek. Eines Nachmittags hatte sie für kurze Zeit ihre Schreibutensilien und ihr Handy auf ihrem Platz liegen gelassen um sich einen Kaffee zu holen. Als sie zurückkam waren ihre Blätter zerknüllt und beschmiert. „Kindermörder Israel“ stand dort und „Vergast sie alle“, „Ab ins Meer“. Der Grund: Auf ihrer Handyhülle war eine Israel-Flagge zu sehen. Antisemitismus sahen die Zuständigen an der Heidelberger Universität damals nicht in dem Vorfall. Und überhaupt – der Sachschaden beschränke sich ja nur auf Papier. Nachgegangen wurde der Sache nicht. Laut der Polizeilichen Kriminalstatistik gab im Jahr 2017 bundesweit insgesamt 1453 antisemitische Straftaten. Davon 209 Propagandadelikte und 898 Volksverhetzungen. Aber auch 28 Körperverletzungen. Für viele sind das nur Zahlen. Für Dalia und ihre jüdischen Freunde und Kommilitonen ist das Alltag.

 

Käppi über Kippa – kein Modetrend, sondern Angst

 

Aus Sicherheitsgründen hat der JSUD seine Adresse gar nicht erst veröffentlicht. Und auch auf ihrer Facebook-Seite bekommt die Organisation Drohungen und Beleidigungen – manchmal kommen sie mit der Bearbeitung nicht hinterher. Alle von Dalias jüdischen, Kippa tragenden Bekannten in ihrem Alter, tragen grundsätzlich eine Käppi drauf. Egal wo: Berlin, München, Hannover. „Und nicht weil sie es stylisch finden,“ sagt Dalia und runzelt die Stirn. „Das finde ich schon schlimm, als junger Student sagen zu müssen: Moment ich muss meine Käppi-Sammlung einpacken, weil ich ja auf die Straße möchte. Der Gedanke ist doch absurd.“

Diese Meinung teilten auch die rund zweitausend Menschen, die sich im April in Berlin zur Solidaritätskundgebung „Berlin trägt Kippa“ versammelten. Eine Woche zuvor hatte ein junger Arabisch rufender Mann einen Kippa tragenden Israeli mit einem Gürtel verprügelt. Zu der Kundgebung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße kam auch Dalia.

Und sie war positiv überrascht: „Zum ersten Mal seit Langem waren bei so einer Aktion mehr nicht-jüdische Leute als jüdische. Dass gesagt wurde: Es ist meine Aufgabe als Demokrat, mich dafür einzusetzen. Das ist auch mein Problem, nicht eures allein – das fand ich stark“, sagt sie. Einen Wunsch für die Zukunft hat sie dennoch: Dass es beim nächsten Anlass, keine jüdische Gemeinde sein muss, die eine solche Aktion organisiert. Denn einen nächsten Anlass wird es geben.

 

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Bildquelle:

Titel: Unsplash unter CC0 Lizenz

Dalia: (c) Katharina Kunert