„Heute bin ich durchaus verkatert“ – auf ein Bier mit Charlie Cunningham

Freitagabend, der Tag nach dem kleinen Freitag, also der Tag mit dem kleinen Kater. Das ist natürlich nicht die Regel, aber genau an diesem Freitag der Fall. Ich betrete die Münchner Muffathalle und werde mit einer Stimme begrüßt, die nicht nur den Raum einnimmt: You can do what you want, but I’m making my own way“. Soundcheck. Ich treffe mich mit Charlie Cunningham. Während ich im Backstagebereich auf ihn warte, greife ich noch vorbildlich zum Wasser, als er sich dann zu mir setzt, wurde das Wasser schnell zu Bier und der Interviewtermin zum lockeren Gespräch über zu lange Beine, Grimassen und Nervosität.

 

ZEITjUNG: Starten wir mit einem Klischee: Du kommst aus Großbritannien – wie bist du mit der Sonne hier in München heute klar gekommen?

Charlie Cunningham: Um ehrlich zu sein: Ich bin total desorientiert. Wir touren seit sechs Wochen – Kalifornien, Kanada, Frankreich, Spanien – ich hab gar kein Gefühl mehr dafür. Vor allem weil wir die meiste Zeit ohnehin drinnen sind. Das ist das Traurige an der Tour: Wir verbringen die meiste Zeit mit Fahren, gerade kommen wir aus Prag.

Wie lange bleibst du denn an einem Ort? 

Maximum 1,5 Tage. Manchmal trinken wir danach was und gehen noch in eine Bar, das war’s.

Ist das schon mal eskaliert? 

(lacht) Also ich sag mal so, heute bin ich durchaus leicht verkatert, aber das bist du ja auch. Das hier macht’s vielleicht besser (gibt mir mein Bier).

Bist du denn schon nervös? 

Immer. Jetzt geht’s mir noch ganz gut, aber in einer Stunde wird’s richtig schlimm.

Was, wenn ich dir sagen würde, es kommen 1 Million Menschen?

(lacht) Ich würde weinen. Nein Scherz, wir müssten uns wohl erst einmal eine andere Location suchen. Nach den ersten zwei Songs wär dann auch das okay.

Hast du ein Heilmittel gegen Nervosität?

Ich spiele Gitarre, genehmige mir einen Drink und hänge mit den Jungs ab – ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken.

Redet ihr davor also nicht über den Gig? 

Nicht wirklich. Wir reden eigentlich nur Scheiße davor. Klar, überlegen wir natürlich, welche Songs wir in welcher Reihenfolge spielen, aber das war’s.

Nochmal zurück zu Heilmitteln: Deine Lieder sind sehr tiefgründig und berührend, ist Musik dein Heilmittel für schwierige Situationen in deinem Leben?

Vieles verändert sich, aber die Musik war immer da und immer wichtig, eine Konstante in meinem Leben. Und danke, wenn meine Musik berührt und Menschen nach einem Gig zu mir kommen und mir erzählen, dass ihnen meine Musik in bestimmten Situationen geholfen hat, dann ist das das schönste Kompliment.

Kannst du mir einen Song nennen, den du nach einer bestimmten Situation geschrieben hast? 

Das Lied „Plans“ auf meiner ersten EP habe ich für meinen besten Freund geschrieben. Er ist vor zehn Jahren gestorben und das Lied war meine Antwort darauf. Die anderen Songs sind meist so geschrieben, dass sie Raum für Interpretation lassen, damit die Leute sich selbst darin finden können und ich ihnen nicht vorgebe, was sie denken oder fühlen sollen.

 

Gefühle sind oft der Grund für deine Lieder. Was beeinflusst deine Songs noch?

Meine Lieder sind vor allem von Menschen beeinflusst. Ich bin generell sehr interessiert daran, wie Leute ticken und wie sie mit sich und anderen umgehen, so dass ich echt versuche nicht nur mich in den Liedern zu repräsentieren.

Macht es das schwieriger für dich, Lieder zu spielen, deren Inhalte nicht dich persönlich betreffen oder kannst du dich trotzdem reinfühlen? 

Das geht. Ich erzähle in dritter Person und das bevorzuge ich manchmal sogar. Ein bisschen Abstand tut gut.

Aber wie transportierst du dann das Gefühl, denkst du auf der Bühne an eine bestimmte Situation? 

Um ehrlich zu sein, das weiß ich gar nicht so genau. Wenn ich auf der Bühne bin, dann konzentriere ich mich vor allem auf die Gitarre, weniger auf den Text. Ich will, dass das Gitarrenspiel stimmt. Vielleicht wäre es aber tatsächlich besser, wenn ich darüber nachdenken würde, was ich eigentlich gerade sage. Andererseits habe ich 1000 Leute vor mir und alles was ich mir denke, ist „Oh my god“.

Nimmst du die Leute wahr?

Ich will, dass das Publikum immer ein bisschen beleuchtet ist und ich ein paar Gesichter sehen kann. Wenn es komplett dunkel ist, stell ich mir vor, wie die Leute schauen könnten und das geht dann eher in Richtung „hmmmpf“ (er zieht eine Grimasse).

Was machst du denn, wenn die Reaktion wirklich „hmmmpf“ (ich ziehe die gleiche Grimasse) ist?

(lacht) Wenn jemand so schaut, dann such ich mir einfach das nächste Gesicht.

Deine Lieder sind auch von Spanien inspiriert, du hast dort gelebt und Gitarre spielen gelernt?

Ja, die Technik, mit der ich spiele, ist beeinflusst von Flamenco. Ich höre verschiedene Musikrichtungen, aber an der Flamenco-Technik war ich immer schon interessiert. Die Dynamik ist unglaublich. Du kannst total offen, laut und hart spielen, aber gleichzeitig auch ganz intim werden.

Viele betiteln deine Musik auch als „Flamenco Folk“, wie stehst du dazu?

Oh mein Gott, ich weiß echt nicht, wer darauf gekommen ist. Ich bin total vorsichtig das Wort „Flamenco“ zu benutzen, ich spiele definitiv keinen Flamenco, ich bin davon beeinflusst. Generell ist es doch besser, sich kein Label überzuziehen. Das limitiert dich doch nur.

Du willst deine Musik nicht beschreiben, von welchen Musikern ist deine Musik denn inspiriert? 

Von vielen. Ich habe vier Geschwister und jeder hat andere Musik gehört, zudem lief den ganzen Tag MTV. Und generell: Sobald etwas irgendwie emotional und berührend ist, bin ich schon begeistert.

Und welche Musik magst du gar nicht – wer war der Bruder mit dem schlechtesten Musikgeschmack? 

(lacht) Das war dann wohl ich.

Was hast du gehört, als du jünger warst? 

Die Beatles.

Aber das ist doch nicht schlimm.

Nein, das ist sogar wundervoll. Aber nach dieser Phase habe ich sehr viel hartes Zeug gehört: Metal, Punk – Hauptsache sehr laut. Ich glaube, damit hab ich meine Geschwister wohl eher irritiert.

Okay, lieber zurück zu der Musik, die du jetzt machst: Einer deiner Songs heißt Interlude (Tango) – kannst du Tango tanzen? 

Nein, ich kann’s nicht! Ich meine mit dem Lied auch nicht den typischen Argentinischen Tango (fängt an zu singen: dam da dam), es ist eher an Flamenco angelehnt. Aber was rede ich, ich kann’s so oder so nicht. Meine Beine sind zu lang.

Hast du’s probiert? 

Nein, habe ich nicht. Hast du schon mal Tango getanzt?

Ja, wir haben das in der Schule gelernt. Es macht Spaß, aber ich bin halt doch irgendwie deutsch. 

Ich glaube, da sind wir uns sehr ähnlich: Die Briten und die Deutschen haben da wohl ein ähnliches Talent.

Wie aufgeregt wärst du, wenn ich dir jetzt sagen würde, es kommen 1 Millionen Menschen und du musst auf der Bühne Tango tanzen? 

Ich wäre weg. Ich würde laufen. Nicht nur von der Bühne, eher aus der Stadt. Ich meine, nach ein paar Drinks tanze auch ich, aber nicht Tango und nicht auf der Bühne, dort verstecke ich mich eher hinter meiner Gitarre.

Wieso versteckst du dich hinter deiner Gitarre? 

Die Gitarre ist für mich das Wichtigste. Ich beginne, wenn ich Songs schreibe immer erst damit, so schaffe ich Atmosphäre. Gesang kommt für mich erst an zweiter Stelle.

Du hast dich erst mit 28 dazu entschieden, beruflich Musik zu machen, wie kam es dazu? 

Es gab nie ein vergleichbares Gefühl für mich. In meinen Zwanzigern hatte ich noch Angst davor. Ich habe verschiedene Jobs gemacht, die mir eigentlich nie wirklich gefallen haben. Dann kam einfach der Punkt, an dem ich mich gefragt habe, was ich hier eigentlich mit meiner Zeit mache? Jeden Tag nach der Arbeit, habe ich meine Gitarre in die Hand genommen und das war der schönste Moment des Tages. Irgendwann war mir dann klar, dass ich meinen Fokus darauf legen muss.

Hattest du Angst, alles aufzugeben? 

Definitiv. Ich bin dann nach Sevilla in Spanien gegangen und habe geübt, geübt, geübt. Ich wollte eigentlich nur ein paar Monate dorthin, daraus wurden dann mehr als zwei Jahre.

Wie hast du dir das finanziert? 

Ich habe davor Geld für zwei Monate gespart. Dann habe ich Nachtschichten in einem Hostel geschoben.

Das klingt anstrengend.

Das war’s! Von 11 bis 07 Uhr morgens, jedes Wochenende, ein Jahr lang. Das war verrückt. Aber ich konnte davon essen und meine Miete bezahlen.

Denkst du, dass 28 das richtige Alter für deinen Start war? 

Ja. Ich wusste davor gar nicht, welche Art von Musik ich machen möchte, das war ein langer Prozess und ich wollte mir sicher sein. Ich wollte mein eigenes Ding machen und ich bin froh, dass ich mir dafür Zeit gelassen habe.

Hast du irgendwelche Tipps, wie man rausfinden kann, was man eigentlich will?

Wenn man wirklich tief in sich rein hört, dann weiß man das eigentlich. Man muss es nur zulassen und dann einfach machen. Und wenn dich das viel Zeit kostet, dann ist es eben so, dann nimmst du dir diese. Wir leben schließlich nur einmal.

 

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Bilder: Peter Bank