Menschen in Kinosesseln

Kino im Wandel: Untergang oder neue Ära

Mit weltweiten Einnahmen von über 1,9 Milliarden US-Dollar und über 93% positiven Bewertungen auf der Kritikerplattform Rotten Tomatoes beschert Spider-Man: No Way Home Kinos auf der ganzen Welt Besucherzahlen, die an vorpandemische Zeiten erinnern. Nicht mal ein halbes Jahr später knackt auch Top Gun: Maverick die Eine-Milliarden-Dollar Grenze und zementiert sich damit in den Top 13 der meistgesehenen Filme aller Zeiten. Blockbuster wie diese sind den coronageplagten Kinos einerseits Lebensversicherung, andererseits sind sie auch potenzielle Nägel im Sarg einer vielfältigen Filmlandschaft.

Der Kinomarkt hat sich in den letzten 10 Jahren auf zwei Arten radikal verändert. Die erste ist das Medium, durch welches wir Filme konsumieren. Das Kino ist dank des gigantischen Repertoires von Netflix und co. nicht mehr alternativlos. Der klassische Weg eines Films von Kino, über DVD, zum Pay-TV bis ins Free-TV existiert nicht mehr. Stattdessen sind selbst große Produktionen teils mehrere Wochen nach Kinostart bei großen Streaminganbietern verfügbar.

Der zweite Punkt ist die Entwicklung weg vom Einzelfilm und hin zum Franchise. Disney macht es vor: das Marvel Cinematic Universe ist ein großes Puzzle, das über einzelne Filme und Serien hinausgeht und den Zuschauer dazu auffordert, in jedem neuen Film ein weiteres Teil zu suchen. Gepaart mit epischen Bildern, flachen Gags und Charakteren mit Wiedererkennungswert wird dadurch vor allem eins kreiert: Hype. Hype, der Fans dazu veranlasst, die Filme zum Release sehen zu wollen.

Dass bildgewaltige Filme im Kino am besten funktionieren, ist keine Neuigkeit. Angefangen mit Jurassic Park, welcher 1993 die Blaupause für das moderne Blockbuster-Kino lieferte, über die Herr der Ringe-Trilogie, bis hin zu Avatar und Avengers: End Game, ist die Liste der erfolgreichsten Filme unserer Zeit gespickt mit epischen CGI-Feuerwerken.

Kino im Wandel der Zeit

Seit der Erfindung jenes neuen Blockbuster-Kinos befinden uns in einer Situation, in der ein Film mindestens eine von zwei Bedingungen erfüllen muss, um ein Kassenschlager zu sein: entweder muss er so monumental sein, dass er durch große Leinwand und Dolby-Surround zu einem radikal anderen Erlebnis als im Heimkino wird oder er muss als Teil eines Franchise so antizipiert sein, dass selbst die wenigen Wochen bis zum Streaming-Release zu lang erscheinen. Das Resultat ist eine Kinolandschaft, die von den jährlichen zwei bis vier Marvel-Releases, sowie wenigen Action- und Sci-Fi Blockbustern dominiert wird. Das war lange Zeit kein Problem, allerdings werden Filme anderer Genres nun mehr und mehr aus den Lichtspielhäusern verdrängt.

Vor einigen Jahren teilten sich die großen Publikumserfolge ihre Spielzeiten mit einfühlsamen, Story- und dialogorientierten Dramen, kinematografischen Geniestreichen, sowie düsteren Thrillern mit gesellschaftskritischen Ansätzen: City of God, No Country for Old Men, Twelve Years a Slave, Whiplash, Grand Budapest Hotel und Der Leuchtturm, um nur einige zu nennen.

Dass das heutzutage nicht mehr so sein würde, war vor der Pandemie nicht abzusehen. Die Verluste aus den vergangenen zwei Jahren haben viele jedoch Kinos dazu gebracht, sich besonders auf Umsatzgaranten, wie die Produktionen aus dem Hause Disney zu konzentrieren. Der Markt ist zu umkämpft, als dass Kinobetreiber sich erlauben können, viele kleine oder experimentellere Produktionen zu zeigen. Es ist gut möglich, dass das übliche Kinoprogramm in naher Zukunft nicht mehr als fünf Filme zugleich umfasst.

Das Ende für kinountauglichere Genres bedeutet dies allerdings nicht. Denn wo das Kinoprogramm schmaler wird, nimmt das Repertoire der digitalen Anbieter umso mehr zu. Besonders Netflix hat in den letzten Jahren durch Eigenproduktionen und Exklusivverträge eine beachtliche Auswahl an Exklusivtiteln (darunter Marriage Story, The Irishman und The Power of the Dog) angehäuft. Der Trend zeigt: es gibt mehr Produktionen, welche für mehr Menschen zugänglich sind. Thriller, Drama und Comedy sterben also nicht aus, sie bekommen eine neue Plattform.

Auch das Kino stirbt nicht aus, es transformiert sich. Es nimmt eine neue Rolle an. Kino ist nicht mehr der einzige Weg, neue Filme zu sehen, sondern der schönste. Das Kino der Zukunft ist der Ort, an dem wir, inmitten einer breit gefächerten Streaminglandschaft, die teuersten, atemberaubendsten Produktionen in voller Pracht bestaunen können.

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Bildquelle: Tima Miroshnichenko via Pexels; CC0-Lizenz