Kohlekraftwerk und Windräder

Kohleausstieg: Wie gelingt der Wandel?

Kurz- und langfristige Ziele im Konflikt

Die Studie der WH verleitet zu dem Schluss, dass ein verfrühter Ausstieg 2035 weder den Wohlstand beeinträchtigen noch zu einer höheren Arbeitslosenquote führen würde. Die Frage liegt nahe, warum politische Akteur*innen dennoch zögern. Holtemöller verweist darauf, dass dieser Gedanke nur im gesamtwirtschaftlichen Kontext gilt. So dürfe man aber nicht vergessen, dass in Regionen mit Kohleunternehmen die Kosten entstehen. „Wenn wir aus der Braunkohle aussteigen, hat die Generation meiner Kinder eine bessere Umwelt. Aber die Kosten dafür entstehen, in Form von entgangenen Einkünften, beim Baggerfahrer im Braunkohletagebau und bei den Anteilseignern der Firmen, die dort Gewinne machen. Kosten und Nutzen fallen also auseinander.“

Holtemöller fügt hinzu: „Erschwerend kommt hinzu, dass der Nutzen weit in der Zukunft liegt. Und wir Ökonomen sind besonders kritisch, wenn wir über Politik reden. Wir arbeiten mit dem Modell der Wiederwahlchancen-Maximierung. Und die Wiederwahl ist in spätestens vier Jahren. In vier Jahren sehen Sie die Kosten des Braunkohleausstiegs, aber Sie sehen noch nichts von seinen Vorteilen.“

Aus diesem Grund erhalten Betreiber*innen von Braunkohlekraftwerken insgesamt 4,35 Milliarden Euro als Entschädigung. „Damit ist es möglich, das von der Komission ‚Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung‘ (KWSB) empfohlene Einvernehmen mit den Kraftwerksbetreibern und letztlich auch Rechtssicherheit herzustellen“, heißt es auf der Seite des Umweltministeriums.

Solchen Zahlungen steht Holtemöller kritisch gegenüber. „Ich glaube, da muss man zwei Dinge auseinanderhalten. Entschädigungen sind gerechtfertigt, wenn es um konkrete Eingriffe in die Eigentumsreche geht. Jetzt ist die entscheidende Frage: Haben die Unternehmen ein Recht, die Umwelt zu verschmutzen und daraus Gewinne zu erzielen? Wenn die Kohleunternehmen für die Folgekosten ihrer Aktivitäten bezahlen müssten, etwa für die Behandlung von Menschen, die durch Umweltverschmutzung krank werden, wären die Gewinnerwartungen deutlich niedriger.“ Holtemöller gibt zu, dass es in Einzelfällen berechtigte Forderungen gebe, ihre Höhe aber das ein oder andere Fragezeichen aufwerfe. 

Klimawandel ist global

Am Ende wäre jedoch ein verfrühter Kohleausstieg Deutschlands nur einen Tropfen auf den heißen Stein. Ein globales Problem kann nun mal nur global gelöst werden. So machte allein China 2019 27 Prozent der weltweiten Emissionen aus, weit vor den USA (11 Prozent) und Indien (6,6 Prozent). Mit seinen mehr als 14 Gigatonnen stößt das Land in Asien mehr Kohlendioxid aus als alle Industriestaaten zusammen. 

„Meine Vermutung ist, dass wir die Klimaziele eher durch technologische Innovation erreichen können. Wir würden auch der Welt einen größeren Nutzen erweisen, wenn wir mehr Ressourcen in die Forschung stecken würden und weniger in die Diskussion, ob wir jetzt Kurzstreckenflüge verbieten sollten oder nochmal fünf Jahre schneller aus der Braunkohle aussteigen“, konkludiert Holtemöller.  

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Bildquelle: Frederic Paulussen & Thomas Reaubourg auf Unsplash; CC0-Lizenz