Gestrandet in Kolumbien

„Gestrandet“ in Kolumbien: Ein Reisetagebuch

Problemas y esperanza

Denn ich habe in Teilen Kolumbiens so viel Armut gesehen wie noch nie zuvor in meinem Leben – insbesondere an der Karibikküste des Landes und insbesondere in der Wüste ganz im Osten der Küste, wo ein Teil der indigenen Bevölkerung Kolumbiens lebt.

Die kolumbianische Regierung, die seit jeher (beinahe) durchgehend konservativ war, interessiert sich nicht für die zahlreichen indigenen Gruppen, die es in Kolumbien gibt. Als ich einen Kolumbianer nach dem Unterschied zwischen der indigenen und der nicht-indigenen Bevölkerung hinsichtlich dessen, wie sie von der Regierung jeweils behandelt werden, gefragt habe, sagte er in Bezug auf die nicht-indigenen Menschen: „La diferencia es que no son indígenas.“ – und ich glaube, das fasst es mehr als gut zusammen. Als er das gesagt hat, habe ich Gänsehaut bekommen.

Genauso als ein kolumbianischer Freund mir erzählt hat, dass die meisten Kinder, mit denen er aufgewachsen ist und die jetzt erwachsen sind oder wären, heute entweder im Gefängnis oder tot sind.

Darum hat Kolumbien mich in erster Linie gelehrt, dankbar zu sein. So gut ich es mit meinem Erfahrungsrahmen bis dato konnte, war ich natürlich auch vor meiner Reise durch Kolumbien schon dankbar für das, was ich hatte. Aber man bekommt einfach ein ganz anderes Gefühl dafür, wenn man zumindest einmal in seinem Leben sieht oder hört, was richtige Probleme eigentlich sind – und wie es aussieht, wenn Menschen rein gar nichts haben.

Ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass Kolumbien sehr „laut“ ist und die Menschen viel zu sagen haben. Und während meiner Zeit in Kolumbien hat sich dieses Gefühl bestätigt: Es brodelt. Kolumbien hat seit wenigen Tagen zum ersten Mal in seiner Geschichte einen linken Präsidenten, und der Eindruck, den ich diesbezüglich während meiner Zeit hier gewonnen habe, ist, dass viele junge Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben so etwas wie Hoffnung haben – zumindest die, denen noch nicht so viel Schlechtes passiert ist, dass sie die Hoffnung endgültig aufgegeben haben.

Colombia, el país de belleza

Aber Kolumbien besteht nicht nur aus Problemen, sondern zu einem sehr, sehr großen Teil aus unglaublicher Schönheit. (Kleine Anekdote am Rande: In Kolumbien gibt es in jeder Hinsicht so viel Schönheit, dass die junge Version von Shakira von den Einheimischen nur als durchschnittlich hübsch angesehen wird. So viel dazu!).  

Kolumbien vereint Geschichte, Kultur und Natur. In Kolumbien kann man sich treiben lassen – von riesigen Wasserfällen zum Meer zu Millionenstädten. Von der Wüste in den Dschungel in die Berge.

Kolumbien ist das Land, in dem ich Paragliding über einem Canyon ausprobiert habe. Das Land, in dem ich beim Rafting unfassbar viel Spaß und gleichzeitig Todesangst hatte. Das Land, in dem ich auf einer Art Snowboard die Dünen in der Wüste heruntergefahren bin. Das Land, in dem ich endlich halbwegs Spanisch gelernt habe und in dem ich einige Versuche unternehmen durfte, Salsa, Bachata und Merengue zu tanzen. 

Kolumbien ist das Land, in dem ich das gelernt habe, was mir in Deutschland in den letzten sieben Jahren nicht gelungen ist: nämlich, Bier zu mögen. Das kolumbianische Bier schmeckt irgendwie sanfter, und so habe ich mich von Aguila, Poker und Club Colombia durchs Land tragen lassen. Und natürlich von Aguardiente – „Feuerwasser“, das auf meinem Roadtrip durch die Wüste mit meinen drei kolumbianischen pecesitos unser treuer Begleiter war. Wörtlich übersetzt bedeutet pecesitos so etwas wie „Fischlein“, aber in Kolumbien ist es eins der vielen und definitiv eins der lustigsten Wörter, um seine Freund*innen zu adressieren (neben parce, marica, perrito und sehr, sehr vielen weiteren!).