First world problems

„First world Problems“: Über das Hinterfragen von Privilegien

Eine Niederländerin, die ich hier in Kolumbien kennengelernt habe, hat mir gestern erzählt, dass sie normalerweise fünfmal im Jahr verreist, und zwar weit weg – als wäre es das Normalste der Welt. Auf der anderen Seite der Straße sehe ich eine Kolumbianerin, die mir vor kurzem erzählt hat, dass sie noch nie das Land verlassen hat, weil sie kein Geld dafür hat. Wo ist die Gerechtigkeit geblieben?

Vorab: Natürlich soll die Überschrift nicht suggerieren, dass man keine Probleme haben kann, wenn man in Deutschland lebt. An jedem Ort auf der Welt kann einem etwas Schreckliches widerfahren. Schicksalsschläge machen nur bedingt Halt vor Menschen im globalen Norden, und ohnehin beruht die Einschätzung dessen, wie gravierend die eigenen Probleme sind, natürlich immer darauf, was man an Problemen gewohnt ist. Die Einschätzung ist also sehr subjektiv, und Probleme, die Menschen in Kolumbien wahrscheinlich weniger groß vorkommen würden, können für Menschen in Deutschland durchaus gravierend erscheinen.

Dennoch sollte man darüber nachdenken, wie viele Probleme einem einfach nur aus dem Grund erspart bleiben, weil das Schicksal es gut mit einem gemeint hat und dafür gesorgt hat, dass man in Deutschland geboren und aufgewachsen ist.

Denn was mir hier in Kolumbien mehr denn je klar wird – wobei mir das natürlich auch schon in Deutschland theoretisch bewusst war – ist, dass es zweifelsohne zwei Klassen von Menschen auf der Welt gibt. Eigentlich noch viel mehr Klassen, denn natürlich existiert mehr als eine Abstufung zwischen den verschiedenen Ländern und Regionen in der Welt, was Reichtum und Wohlstand betrifft. Aber um es abzukürzen, könnte man auch sagen: Entweder man hat in der Lotterie des Lebens Glück gehabt – oder eben nicht.

Sicher, man kann auch in Deutschland arm sein. Auch in Berlin oder Frankfurt spielt Obdachlosigkeit eine große Rolle, und auch in Deutschland gibt es Menschen, die so wenig verdienen, dass sie jeden Cent nicht nur zweimal, sondern fünfmal umdrehen müssen. Allerdings ist das wohl kaum der Durchschnitt. Das ist in vielen Ländern des globalen Südens anders, denn hier ist es einfach normal, arm zu sein.

Wenn man in Deutschland arm ist, dann hat man die Möglichkeit, etwas an seiner Situation zu ändern. Man kann Ausbildungen machen, Umschulungen, die Firma wechseln oder mit den Stunden nach oben gehen.

In Kolumbien arm zu sein, bedeutet aber nicht, einen schlechten Job zu haben oder unqualifiziert zu sein – in Kolumbien ist man auch mit einem guten Job vergleichsweise arm.

Ich habe mich mit einer 26-jährigen Kolumbianerin unterhalten. Ich habe irgendetwas von Italien erzählt und dabei das Funkeln in ihren Augen gesehen, das Bände gesprochen hat. Danach hat sie gesagt, dass sie auch gern mal nach Italien reisen würde, aber dass sie noch nie aus Kolumbien rausgekommen ist, weil sie das Geld nicht hat. So weit, so gut – auch in Deutschland gibt es schließlich viele Menschen, die es sich nicht leisten können, zu verreisen. Das aus westlicher Sicht Ungewöhnliche an der Situation dieser Kolumbianerin ist aber, dass sie hier als Spanischlehrerin arbeitet – also einen guten Job hat. Einen Job, mit dem sich in Deutschland jede*r, der*die diesen Job ausübt, leisten könnte, zu verreisen. Aber hier laufen die Dinge anders.