Ein verliebtes Pärchen

Komm, wir fahren durch die Nacht und verlieben uns: Das ist Synthwave

Ist Synthwave Kitsch? Und wenn ja, was für einer?

Susan Sontag schreibt in ihrem bekannten Essay „Notes on Camp“ über die Camp-Kultur (also über Kitsch), dass es das Ziel des Camp sei, das Ernsthafte vom Thron zu stoßen. Camp ist laut ihr spielerisch, anti-seriös und baut sich dadurch ein neuartiges Verhältnis zum Ernsthaften auf. Der Camp-Liebhaber atme den „Gestank“ des Camp ein und erfreue sich an seinen starken Nerven. Vielleicht ist Synthwave genau das. Kitsch. Aber „guter“ Kitsch. Das vermeintlich „Peinliche“ aus der Vergangenheit wird aufs Korn genommen. Diese Parodie ist jedoch so gut, trägt so viel Herzblut in sich, dass sie ihre eigene Qualität entfaltet, der man sich nicht entziehen kann.

Für mich ist Musik etwas, das wir Menschen benutzen, ja brauchen, um unsere Gefühle und unsere Stimmung zu beeinflussen. Manchmal, um sie zu verstärken, manchmal aber auch, um sie ins Gegenteil zu verkehren. Wenn wir akuten Liebeskummer haben, geben wir uns mit Herzschmerz-Songs die Kante. Wenn wir dieses Tal irgendwann durchschritten haben, drehen wir unsere Rock-Songs auf und tanzen Pogo. So einfach kann es manchmal sein.

Der Soundtrack zu einer lauen Sommernacht

Und genau deshalb ist Synthwave für mich vor allem etwas, das mich in einen ganz bestimmten Gefühlsmodus versetzt. Synthwave versetzt mich, zumindest akustisch und mental, in eine Zeit, die ich nie erlebt habe. Synthwave lässt mich träumen.

Synthwave ist für mich, kurz und knapp: Der Soundtrack zu einer lauen Sommernacht, in der ich mit meinen Freunden unterwegs bin und realisiere, dass sich darunter der Mensch befindet, den ich auf ewig lieben und nie mehr allein sein werde. Die absolute Glückseligkeit gehüllt in neon- und pastellfarbene Synthie-Beats, die uns beide schweben lässt und es für einen Moment so scheint, als existiere dieser Planet nur für uns Zwei.

Vier Synthwave-Songs, die man gehört haben sollte

Anoraak – Nightdrive With You

So etwas wie die Initialzündung für das Genre. Hat nicht nur akustisch, sondern auch inhaltlich all das, was einen Synthwave-Song ausmacht. Die Botschaft: Komm, wir fahren durch die Nacht und verlieben uns.

Kavinsky feat. Lovefoxxx – Nightcall

Tiefe, knochentrockene Beats. Erst verzerrte Vocoder-Stimme, dann engelsgleicher Gesang. Macht dir Angst, gibt dir im Refrain aber irgendwie auch wieder Hoffnung. Wer es vermutet, liegt richtig: Hier hatten Daft Punk ihre Finger im Spiel.

College feat. Electric Youth – A Real Hero

Nachdenklich und schön. Der Synthie-Beat ist hartnäckig, der Gesang das Gegenteil. Einer von den zwei Songs, der den Film „Drive“ zum Kult machte. Oder umgekehrt?

Odahl – Never 2 Much

Nimmt einen Song von R’n’B-Sänger Luther Vandross und macht ihn zum Davonschweben tanzbar. Wenn das Kitsch ist, dann liebe ich ihn. Wer hier nix fühlt, ist selber schuld.

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Bildquelle: Pexels unter CC0 Lizenz