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Frauen kämpfen in Indien: „Wir sind das Feuer“

von Charlotte Martin Yuste

Sie laufen dicht an dicht. „Leg dich mit einer von uns an und du hast uns alle gegen dich“, scheinen ihre festen Schritte, ihre entschlossenen Gesichter zu sagen. Die Orte, an denen sie vorbeilaufen, sind farblos. Grau. Doch selbst durch den Staub, den der wallende Saum ihrer Saris aufwirbelt, lodern und leuchten sie. Wie ein pinkfarbener Feuerball, der durch die Straßen fegt.

 

Die pinkfarbenen Robin Hoods

 

Alles begann mit einem für Indien leider nicht untypischen Ereignis. Sampat Pal Devi, eine einfache Frau aus dem Norden des Landes, sah, wie ein Mann brutal und gnadenlos auf seine Frau einschlug. Mutig stellte sie sich ihm entgegen und bat ihn aufzuhören. Das Resultat ihrer Courage war, dass sich seine Aggression auch gegen sie richtete. Am nächsten Tag kehrte sie zurück. Mit fünf weiteren Frauen. Bewaffnet mit Bambusstöcken.

Die Geschichte verbreitete sich schnell und immer mehr Frauen wandten sich mit ähnlichen Problemen an die neugeborene Heldin. So wurde 2006 die Gulabi oder „Pink“ Gang gegründet. Inzwischen haben sie über zehntausend Mitglieder und Unterstützer. Darunter sind auch Männer. „Rural women in pink saris wielding bamboo sticks in pursuit of justice“, so beschreiben sie sich auf ihrer Internetseite. Den pinkfarbenen Sari tragen sie als Zeichen von Weiblichkeit und unterschätzter Stärke. Die Bambusstöcke zur Verteidigung.

 

Der Kampf gegen Korruption und Kriminalität

 

Die Frauen leben im Banda District im Staat Uttar Pradesh. Die Region ist geprägt von Landwirtschaft, die Gesellschaft rückschrittlich. Korruption und Armut prägen den Alltag. Eine Ehe, in der ein Mann seine Frau als Gleichgestellte und mit Respekt behandelt, findet man hier kaum. Vergewaltigungen und Gewalt gegen Frauen sind keine Seltenheit. „Die Polizei kommt ihrer Verantwortung, angemessene Gerechtigkeit herzustellen, oft nicht nach. Die Gulabi Gang versucht die Lücken zu füllen, die der Staat auslässt“, erklärt Orlando von Einsiedel von Grain Media, Regisseur und Autor der Kurzdokumentation „We are fire“ gegenüber ZEITjUNG.

Der Film entstand im Rahmen eines Werbespots im Auftrag des Kanals Al Jazeera English für die Kampagne „Hear The Human Story“. Er beschäftigt sich vor allem mit der Geschichte eines Mitglieds, soll aber auch den größeren Rahmen zeigen. Der Mann der Protagonistin wurde ermordet. Dann nahmen sie ihr das Stück Land, auf dem sie gemeinsam lebten. Die Polizei interessierte das nicht, weil sie kein Geld hatte. Ein Lachen liegt in ihrer Stimme, als sie erzählt, dass sie und ihr Mann nie reich waren, aber glücklich. Die Gulabi Gang half ihr, sich zu wehren. „Nimm dir zurück, was dir gehört, und kämpfe dafür!“

 

 

Die Gefahr der Selbstjustiz

 

Das Aufsteigen einer Bürgerwehr ist oft kritisch. Und ganz ohne Gewalt geht die Bewegung nicht vonstatten. Wenn die Frauen müssen, scheuen sie sich nicht, ihre Bambusstöcke einzusetzen. Das tun sie jedoch nur, wenn ihnen nichts anderes übrig bleibt. Und das kommt leider häufig vor. Immer wieder reagieren Männer, denen sie ihre Beschwerden versuchen friedlich entgegenzubringen, mit Missbrauch und Gewalt. „Diese Frauen versuchen, sich an die Gesetze zu halten und friedlich und positiv zu agieren. Ich glaube es gibt wichtige Lektionen, die wir von ihnen für andere Volksbewegungen auf der Welt lernen können“, sagt Orlando von Einsiedel.

Sie ziehen los und sprechen Probleme an. Gehen zur Polizeistation und bestehen darauf Anzeige zu erstatten, wenn Frauen vergewaltigt wurden. Wehren sich gegen Korruption. Und geben Frauen Halt und ein zu Hause.

 

Lodernde Hoffnung

 

„Die Gulabi Gang wurde gegründet, um die Gesellschaft zu verändern, nicht um gegen sie zu kämpfen“, sagt die Gründerin im Video. Es ist eine zutiefst patriarchale Gesellschaft, in der die Bewegung wächst. Und ob die pinkfarbene Welle der Veränderung das Land tatsächlich umformen kann, bleibt abzuwarten. Doch im Kleinen bewirkt die Gulabi Gang unglaublich viel. „Wir haben zahlreiche Geschichten von Frauen gehört, deren Leben sich vollkommen verändert hat, nachdem die Gang ihnen geholfen hat“, so der Regisseur von „We are fire“.

Die Frauen machen Hoffnung. Sie sind mutig und furchtlos. Lassen sich nicht unterkriegen von einer Gesellschaft, die sie nicht wertschätzt. Eine Gesellschaft, in der sie die Schwachen sind. Die, die Kinder gebären und sich um die Familie kümmern. Doch die Gulabi Gang steht auf für ihre Rechte. „Wir sind die Frauen Indiens“, brüllt ihre Anführerin. „Nicht nur Frauen, wir sind Feuer“, antworten die Anhängerinnen. Die Stimmen sind voller Stolz.

Ein pinkfarbener Feuerball streift mit wehendem Schweif durch die ärmste Gegend Indiens. Und obwohl die Frauen der Gulabi Gang tragische und grausame Dinge erlebt haben, hören sie nicht auf zu kämpfen. Und inspirieren damit die ganze Welt. Leuchtendes Pink. Das ist wohl die eigentliche Farbe der Hoffnung.

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Bildquelle: Screenshot