Helfersyndrom: Wenn mehr Schaden als Gutes angerichtet wird

Anderen Menschen zu helfen kann doch eigentlich gar nichts Schlechtes sein, oder? Aber bei dem sogenannten Helfersyndrom kann das Bedürfnis anderen zu helfen so stark ausgeprägt sein, dass es nicht nur dem*der Betroffenen, sondern auch den Hilfsbedürftigen schaden kann. Was es mit dem psychologischen Phänomen auf sich hat, erfahrt ihr hier.

Definition

Der Begriff wurde erstmals von Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer im Jahre 1977 genutzt, hat seitdem aber schnell an Popularität gewonnen. Dieser beschrieb Betroffene als Menschen, die schon im Kindesalter ein geringes Selbstwertgefühl hatten. Die Anerkennung und Zuneigung, die sie sich gewünscht haben, hätten sie nur durch ihr ständiges Hilfsangebot erhalten. Dieses Verhalten prägt sie auch im Erwachsenenalter noch. Ihr Selbstwertgefühl lässt sich nur steigern, wenn sie das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Dieses steht auch oft im Vordergrund. Es geht also eher darum zu helfen, um sich gebraucht zu fühlen, als um wirklich weiterzuhelfen.

Der Unterschied zur klassischen Hilfsbereitschaft ist bei dem Helfersyndrom besonders, dass unaufgefordert Aufgaben übernommen werden. So kann es eben auch dazu kommen, dass in Situationen „geholfen“ wird, in denen es vielleicht nicht immer sinnvoll ist. Die Hilfe wird quasi aufgedrängt. Betroffene opfern sich in dem Sinne auf, da sie die Bedürfnisse anderer ihren eignen vorziehen, egal ob sie darum gebeten wurden oder nicht. Wenn sie einmal an sich selber denken, plagt sie häufig ein schlechtes Gewissen. Menschen mit dem Helfersyndrom fällt es zusätzlich unverhältnismäßig schwer, selber Hilfe anzunehmen.

Wieso Helfen auch schädlich sein kann

Wie aber soll es Schaden anrichten, anderen zu helfen, egal aus welchen Gründen? Für die Betroffenen liegt das große Problem besonders darin, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse vernachlässigen. Das kann schon kurzfristig Schaden anrichten: Wenn die eigenen Bedürfnisse nicht erfüllt werden, kümmern sie sich damit zu wenig um sich selbst. Auf Dauer kann das zu ernsthaften Problemen führen, darunter Depressionen oder Burn-Out. Ungesund ist es auch dann, wenn das Helfersyndrom aus dem Wunsch nach Macht entsteht. Betroffene fühlen sich vielleicht überlegen und wollen, dass der*die Andere von ihnen abhängig wird.

Somit schadet es auch denjenigen, denen ja eigentlich geholfen werden soll. Nicht nur indem ihnen die Hilfe aufgedrängt und somit die Möglichkeit genommen wird, eigene Probleme zu lösen und an Herausforderungen zu wachsen, sondern auch durch eine daraus resultierende Co-Abhängigkeit. Die eine Person fühlt sich verpflichtet, immer und überall als Retter*in bereitzustehen, die andere Person schafft es nicht mehr, sich selbst zu helfen. Das ist für beide Seiten schädlich. Durch die ungefragte Hilfe kann es außerdem dazu kommen, dass Situationen eher verschlechtert werden als verbessert. Ein weiteres Beispiel, wie das Helfersyndrom anderen schaden kann, wäre der Voluntourismus.

Was also tun?

Für Betroffene ist es wichtig, auch mal auf die eigenen Wünsche zu hören. Anstatt all ihr Selbstwertgefühl aus dem Helfen anderer zu schöpfen, sollten sie lernen, sich um sich selbst zu kümmern. Das Selbstbewusstsein sollte im besten Fall anderweitig gesteigert werden, aus einer gesunden Beziehung zu sich selbst und anderen. Da es für beide Seiten eher ein toxischen Verhältnis ist, sollten Beziehungen, die auf einer Co-Abhängigkeit beruhen, überarbeitet werden. Hierbei kann Therapie auch helfen, um herauszufinden: „Wer bin ich, wenn nicht der*die Helfer*in?“.

Übrigens: Trotz verbreitetem Glauben gibt es keinen kausalen Zusammenhang zwischen diesem Syndrom und einem Beruf im sozialen Feld. Mit Sicherheit haben viele Pfleger*innen eine größere Hilfsbereitschaft, aber das Helfersyndrom kommt auch unabhängig dieser Berufswahl vor.

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Bildquelle: Samantha Garotte via Pexels, CC0-Lizenz