Liebeserklärung an: traditionelle Gasthäuser
Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!
Liebe Latte-Art,
du kannst mir gar nichts. Hier geht es auch nicht um dich. Hier geht es um die Art Menschen, die in ihrem ganzen Leben noch nichts von dir gehört haben. Um Orte, an denen man, wenn man einen Kaffe bestellt, einen stinknormalen Filterkaffee bekommt. Es folgen keine hundert Fragen: Cappuccino, Latte-Machiatto oder Cold-Brew? Mit Hafer-, Soya oder Reis-Mandel-Milch? Groß, mittel oder klein?
Nein. Kaffee ist hier unterteilt in Haferl oder Tasse, schwarz oder höchstens noch mit Kaffeesahne. Dazu gibt es ein Stück Kuchen und die Frage nach einer glutenfreien oder veganen Alternative würde hier bestenfalls auf Missverständnis stoßen.
Wirtshäuser sind Entschleunigung
Natürlich möchte ich diese Dinge nicht durch den Dreck ziehen. Es ist wunderbar, dass es all diese kulinarischen Alternativen gibt. Sie schmecken ja auch richtig gut. Aber sie sind auch überfordernd. In modernen Restaurants hat man eine riesengroße Auswahl an Gerichten, die man alle selbstkombinieren muss, ein Topping auswählen und dazu noch die verschiedenen Sonderangebote berücksichtigen, die sich in der Vitrine stapeln. Entschleunigung, Einfachheit – die Menschen fahren dafür nach Indien und gehen pilgern. Dabei wäre es so einfach. Die nächste Auszeit ist nur ein Wirtshaus entfernt.
Die Ruhe der Wirtshäuser
Wie ein Ertrinkender klammert sich der Stadtmensch an die gusseisernen Tore des Lokals, bis er die schwere Türe öffnet und ihn der Geruch von Schweinebraten umweht. Wenn man es bis zum Platz schafft und auf dem Weg nicht von einer forschen Bedienung über den Haufen gerannt wurde, beginnt die Ruhe, die diesen Gasthäusern innewohnt. Hier ist die Insel, hier gibt es die langersehnte Pause. Hier geht keiner hin, um sich sein Essen ‚to-go‘ einpacken zu lassen. Keiner trinkt Kaffee im Stehen, keiner sitzt alleine da und wenn, dann nicht lange. Smartphones sind eine Ausnahmeerscheinung, die Menschen reden miteinander und die, die nicht sprechen, spielen Karten.
Meditation für Traditionsbewusste
Auf einmal ist alles so einfach. Es bräuchte gar keinen Minimalismus und Meditationscamps, die wahre innere Ruhe ist in den Gasthäusern zuhause. Man trinkt das Bier, das hier seit Generationen bereits getrunken wird, isst das, was man schon als Kind immer gern gegessen hat. Das Leben kann so einfach sein, mit Spezi und Schnitzel mit Pommes.
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein
Die Gruppen, die hier zusammen sitzen, kommen schon seit Jahrzehnten genau hier her, sitzen an genau dem Tisch und unterhalten sich über die selben Themen. Sie pflegen ihre Freundschaften mit einer Regelmäßigkeit, die man sich anderswo nur wünschen kann. Manch einer verschwindet jahrelang, sobald er wieder auftaucht, wird er sofort wieder in den Kreis der Verschworenen aufgenommen. Thematisch gehen die Gespräche von Lokalpolitik über Ehepartner bis hin zu Fußballvereinen aus der ganzen Welt. Jede kleine Veränderung wird registriert. Bestellungen werden selten aufgenommen, meist kennt man sich persönlich, ein ‚wie immer bitte‘ reicht völlig aus.
Die Heilkraft von Käsespätzle
All das klingt wahnsinnig rückwärtsgewandt, klingt altbacken und spießbürgerlich. Aber vielleicht denkt man als trendbewusster Großstädter, der man gerne wäre, mal darüber nach, dass so manche Gewohnheiten der verteufelten Dorfbevölkerung gar nicht mal so übel sind. Dass Schlichtheit auch sehr befreiend sein kann. Dass Käsespätzle manchmal ungeahnte Heilkräfte besitzen, auch wenn sie weder glutenfrei noch vegan sind. Und dass man hier, entgegen aller Vorurteile, so angenommen wird, wie man ist. 5, 10, 20 Jahre mögen vergehen – es wird nach wie vor derselbe Hans am Tresen sitzen und dir mit einem Nicken seine Freude signalisieren, dass du endlich wieder da bist.