Liebeserklärung an: die Jogginghose

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

Liebe Jogginghose,

es ist Samstag, 3 Uhr nachmittags. Die durchtanzte Nacht war lang und irgendwann um 4 Uhr morgens bin ich mit schmerzenden Füßen in meine Studentenbude gestolpert, um dich, meinen heiligen Gral der Gemütlichkeit aus seinem sicheren Versteck zu holen. Zielsicher bahnen sich meine Hände ihren Weg ins Dunkel des Kleiderschranks und zerren dich hervor. Grau und unscheinbar magst du auf Laien wirken – doch meine Beine verehren dich wie einen König. Seit meiner Rückkehr aus dem Club heute Morgen habe ich dich nur für eine kurze Dusche abgelegt, um jetzt schon wieder in den Weiten deines weichen Stoffes zu versinken.

Furchtbares Schubladendenken

It’s the weekend und die leidige Kleiderordnung, die uns Leistungs- und Konsumgesellschaft und ihre 40-Stunden-Woche auferlegt haben, ist ausgehebelt. Samstag und Sonntag. Diese Tage, sie sind Geschenke Gottes an von Skinny Jeans und Shape Leggins gebeutelte Beine. Eng, enger, am engsten, hüpfen wir normalerweise in den Alltag und passen uns so der Geringschätzung an, die du außerhalb unserer eigenen vier Wände oft ertragen musst. Ich kann sie schon jetzt hören, die inneren Karl Lagerfelds der anderen, wenn ich mir vorstelle, wie ich dich zur Schau stellend an der Supermarktkasse stehe: „Wer Jogginghosen trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren!“ Wäre es nicht vielmehr ein extrem selbstbestimmter Akt à la „No fucks were given that day“, wenn wir beide unsere innige Beziehung endlich öffentlich machen würden? Ich gebe zu, die extreme und wortwörtliche Anziehung, die du auf mich ausübst, hat mir lange Zeit über Angst eingejagt. Es gehört sich schließlich nicht, derart ungesittet in der Gegend herumzuspazieren. Oder? Viel zu lange habe ich dieses, dein größtes Stigma einfach geschluckt und das gemacht, was alle tun: Still und heimlich, wenn es draußen dunkel wurde, habe ich dich aus der Schublade geholt, in der du vollkommen zu Unrecht steckst. Liebe Jogginghose, ich denke manchmal, du bist innerhalb der Gesellschaft so etwas wie textiler Pornokonsum: Jeder macht’s, aber keiner gibt’s zu.

Textile Unterstützung meiner Faulheit

Das muss sich dringend ändern, ganz nach Autorin Ilona Hartmann, die Karl Lagerfelds berühmte Kritik mit folgender Umkehrung den Wind aus den Segeln nimmt: „Wer keine Jogginghose trägt, hat sein Leben an die Kontrolle verloren!“ True that, denke ich, während ich also gerade verkatert, meine liebste deiner Versionen tragend, diese Zeilen in meinen Laptop tippe. Viele Jahre gehörst du nun bereits zu mir. Ich habe dich damals gekauft, weil meine beste Freundin und ich uns an Halloween als richtig lässige Hip-Hop-Boys verkleiden wollten. Also rein in die Männerabteilung und da warst du: Weiter als weit, grau, rieeeeesige Hosentaschen und auch wichtig für damals: ein lässiger Aufdruck an der linken Hüfte. „Motion“ und „Strength“ steht da. Beides sind Dinge, die wir beide ganz sicherlich niemals gemeinsam erleben werden. Das kann ich dir schon heute versprechen, dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Ich gönne meinem Unterkörper doch nicht stoffgewordenes 5-Sterne Superior Wellnessprogramm, nur um ihn dann kurze Zeit später angespannt durch die Pampa zu hetzen. Dein Kompositum, darüber müssen wir also wirklich auch noch einmal sprechen. Welcher Held ist denn auf die Idee gekommen, körperliche Betätigung in diesen Begriff zu packen?! Liebe Jogginghose, es gäbe tausende Namen, die besser beschreiben könnten, was du für mich bist: Gammelhose, Faulheitstextil, Chillklamotte, Wellnessstoff, die Liste könnte ich beliebig fortsetzen.

In die weite Welt hinaus!

Liebe Jogginghose, letztlich bleibt es aber egal, wie du heißt. Hauptsache ich weiß, was du für mich bist, welchen Wert du in meinem Leben hast. Dieser ist tatsächlich unschätzbar und es gibt absolut keinen Grund, dich an den äußersten Rand meines Kleiderschranks zu verdrängen. Du gibst mir das befreiende Gefühl von Nacktheit bei vollkommener Bedeckung. Du fängst mich nach einem viel zu langen Tag in Jeans auf, warm und weich umschmeichelst du meine Beine. Und am wichtigsten: Du würdest niemals unangenehme Abdrücke auf meiner Haut hinterlassen, wie es Hosenknöpfe und Nylonstrumpfhosen seit Jahren tun. Das alles sind die Gründe, weshalb ich dir hier und heute verspreche, dass ich mich nicht mehr länger für unsere Liaison schämen werde. Du gehörst zu mir, ich zu dir, ich werde dir ein Leben lang die Treue halten, dich lieben, achten und ehren. Willst du mit mir einkaufen gehen?

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Bildquelle: privat