Liebeserklärung Tagebuch

Eine Liebeserklärung an: Das Tagebuch

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

Liebes Tagebuch, heute geht es nicht um mich sondern um dich. Denn heute möchte ich die ganzen letzten Jahre voller Schmiererei, Schimpfwörter, naiver Wünsche, ausgerissener Seiten, Flecken von Tränen und Kaffee, und Herumgeschleuder in jeder meiner Taschen wieder gut machen. Es ging immer nur um mich. Schon lange kritzele ich auf dir herum – mal mehr, mal weniger – ohne dich von einem Schmierzettel zu unterscheiden. Dabei hast du dich sicher nicht immer oder vielleicht auch nie wertgeschätzt gefühlt. Liebes Tagebuch, vielleicht verteufelst du insgeheim diese Anrede, weil du nie etwas von der angeblichen Liebe zu spüren bekommst. Aber das ändert sich heute. Denn liebes Tagebuch, ich wäre nichts ohne dich.

Ein Ort für meine Wahrheit und mich

„Liebes Tagebuch, heute waren wir im Playmobilland. Da war es sehr schön. Ich habe gebadet und ein Eis gegessen. Aber meine Schwester war blöd. Sie hat mich geschubst und das Eis ist runtergefallen. Jetzt muss ich ins Bett.“ Ungefähr so müssen die ersten paar Zeilen, die ich dir jemals geschrieben habe, ausgesehen haben. Immer im Perfekt, immer in kurzen Sätzen, immer schnörkellos. Da war die Welt noch in Ordnung. Oder auch nicht. Wenn jemand mein Eis runterwarf oder meine Schwester und ich uns darüber stritten, wer nun Lehrer spielen darf und wer Schüler sein muss, dann war nichts in Ordnung. Und all das hast du abgekriegt. Doch auch all das, was ich Tolles erlebte oder geschenkt bekam. Du hast die Wahrheit bekommen. Die Wahrheit mit all ihren unaufgeregten Alltagsereignissen und all ihren kindlichen Emotionen, die ich noch nicht besser als mit „sehr schön“ oder „blöd“ beschreiben konnte.

Und diese Wahrheit war mir so viel wert, dass ich dich mit einem kleinen Schloss verschließen musste. Nichts davon war ein wirkliches Geheimnis, aber alles wichtig. Du hast mir das Gefühl gegeben, einen Ort nur für mich zu haben. Einen Ort, an dem ich jede Wut, jede Angst, jede Freude, jedes Gefühl haben darf. Und das ist bis heute so. Jede Sorge, jede crazy Idee, jeden naiven Gedanken nimmst du geduldig auf. Ohne Wertung, ohne Verurteilung, ohne Augenrollen. Und ohne mir mit altklugen Ratschlägen daher zu kommen, ohne überhaupt zurück zu kommunizieren. Was ich mir manchmal vielleicht gewünscht hätte, ist meistens gerade das Hilfreiche und Heilende. Denn in dieser Welt bekomme ich immer und überall eine Reaktion, ins Gesicht oder über einen Bildschirm, ob ich will oder nicht. Aber von dir nicht. Und das ist unglaublich beruhigend.

Ein Seelenklempner auf der Couch

„Liebes Tagebuch, ich glaube, Felix mag mich doch nicht. Er saß im Kino neben Lisa und nicht neben mir. Vielleicht haben sie sogar Händchen gehalten. Was mache ich falsch?“ Ungefähr so sahen dann die Zeilen ein paar Jahre später aus. Deine Zeilen wurden gefüllt mit Selbstzweifeln und Verzweiflung, Schmetterlingen und Betonklötzen im Bauch, Diätplänen und Tränen über Frustfressen, Wut über Pickel und Überlegungen zur Pille. Da fand ich nicht mehr nur andere doof, sondern auch mich selbst. Da warst du plötzlich wie eine zusätzliche beste Freundin. Ich habe dich nicht mehr nur willkürlich und unregelmäßig mal herausgeholt, sondern wirklich gebraucht.

Damals war ich unsicher und habe viel mit mir selbst ausgemacht. Wenn mir etwas zu peinlich war, um es jemandem mitzuteilen, hast du es erfahren. Du warst mehr als ein Ort für die Wahrheit und Gefühle. Du warst auch eine Art Seelenklempner, der still auf seiner Couch saß und mir zuhörte. Der mir meine aufgeschriebenen Worte vorhielt, wie einen Spiegel. Der mich dadurch auf manche Selbsterkenntnis stoßen ließ. Du hattest kein Schloss mehr, du warst ein offenes Buch. Im Gegensatz zu mir. Alles, was jemand nicht von mir erfuhr, hätte er in dir lesen können. Ich weiß nicht, ob du dich mal jemandem geöffnet hast. Aber ich bin mir sicher, du wärst immer auf meiner Seite gestanden.

Aufs Papier gekotzt

Und heute, da wirst du gefüllt mit Ideen, Zielen und Träumen. Direkt nach dem Aufstehen, noch im Schlafshirt und vor dem ersten Kaffee, setze ich mich hin und schreibe drauf los. Mein Gehirn spuckt etwas aus und das kotze ich dann aufs Papier. So ungefähr sieht es aus in dir. Ein Brei aus Gedanken verteilt sich über deine Seiten. Heute erfährst du nicht mehr bloß die Gefühle, von denen niemand wissen darf. Heute erfährst du die Gedanken, die in diesem Brei weder reflektiert noch zu Ende gedacht sind. Manchmal fällt es mir schwer, sie komplett unbewertet und nicht durchdacht ohne schöne Form und Sprache aufs Papier zu bringen. Aber genau darin liegt der unschätzbare Wert. Einfach aufs Papier gekotzt hinterlassen sie Ordnung und Platz für Neues in meinem Kopf.

Liebes Tagebuch, dank dir kann ich mich durch die letzten 13 Jahre meines Lebens blättern. Aber nicht wie durch irgendeine langweilige Biografie oder meinen Lebenslauf, sondern durch die Gefühle und Gedanken meines jüngeren Ichs. Durch all das, was sonst nirgends festgehalten wird. Du bist nicht nur ein Album in meinem Kopf oder eine Notiz auf meinem Smartphone. Du liegst so richtig in Papierform jeden Morgen vor mir. Und das wirst du auch bleiben. Egal, was sich um mich herum verändert: Du wirst genau das bleiben, was du bist. Und dafür liebe ich dich.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz