Frau in Hängematte

Marlies, 31, belebt die Livemusikszene wieder

Grün soweit das Auge reicht. Weizenfeld reiht sich an Streuwiese reiht sich an Fußballfeld. Hätte ich die Location nicht vor dem Interview mit der Veranstalterin höchstpersönlich abgesprochen, ich wäre überzeugt davon, unterwegs zum Sommerfest des katholischen Frauenbundes zu sein. Stattdessen fahre ich mit dem Überlandbus in Richtung Festivalgelände. Denn einmal im Jahr verwandelt sich das Dorf Vornbach am Inn in eine Art Miniatur-Woodstock und wird ultimativ alternativ. Nicht unbedingt die ersten Attribute, die beim Stichwort „Niederbayern“ ins Gedächtnis rücken und doch sorgt das FestivalRosa Laub“ nun schon im siebten Jahr für das bunteste Publikum, das ich bei einer Veranstaltung dieser Art je erleben durfte. Wo sich Männer in Schottenröcken und Frauen mit Babys auf dem Arm tanzend die Hände reichen, treffe ich Marlies. Sie ist für dieses Ereignis verantwortlich und verrät im Gespräch mit ZEITjUNG, warum es wieder mehr Livemusik braucht, weshalb ihre Mama ihr größtes Vorbild ist und dass der Name des Festivals von Dr. Google stammt.

Nicht kleckern, sondern klotzen

„Ich mag jetzt ein Festival machen“. So und nicht anders eröffnet Marlies vor acht Jahren das Gespräch mit Freunden und Eltern. Denn während die meisten Menschen Wunschträume dieser Art sofort in der hinterletzten Schublade des Gedächtnisses verstauen, nennt die junge Frau im Liegestuhl neben mir das Kind einfach beim Namen. Und tatsächlich finden sich sofort jede Menge helfende Hände. Marlies ist zum Zeitpunkt ihrer fixen Idee natürlich alles andere als unerfahren im Musikbusiness. Schon als kleines Kind steht sie als Fan vor der Bühne und bewundert ihre Mama, die mit ihrer Band auftritt. „Das hat mich so inspiriert, da war klar, dass ich auch Sängerin werden möchte“, erzählt sie mir mit strahlenden Augen. Gesagt, getan und so ist Marlies auch heute noch Mitglied in zwei Bands und instrumentales Multitalent. Gitarre, Klavier, Vibraphon, Ratschen & Co.: Da kann kommen, was will, Marlies wird es ausprobieren. So entstehen auch die eigenen Songs: Trial and Error. Eine Methode, die sich auch auf die Organisation eines eigenen Festivals einwandfrei übertragen lässt. „Das ist teilweise learning by doing und dann klappt’s nicht, aber manchmal klappt’s eben auch gut.“ Mit diesem Optimismus, einer ordentlichen Portion Mut und Neugierde geht’s also vor acht Jahren an die Planung des ersten Events. Das Schlimmste im Leben ist schließlich Langweile.

„Ein Hippie-Hipster-Festival“

In diesem Sinne sitzen wir jetzt also hier in der fast schon kitschigen niederbayerischen Dorfidylle und warten auf den Beginn des siebten „Rosa-Laub-Festivals“ auf dem Gelände des Gasthofs von Marlies‘ Vater. Der kümmert sich mit seinem Team um das leibliche Wohl. Und da ist wirklich für jeden etwas dabei: Neben den besten Schnitzeln der Welt gibt’s veganes Thai-Curry, Falafel, Burger und natürlich Kuchen. Der Plan ist ein „Festival für Alle“ und das beginnt schon bei den Gaumenfreuden. Viel Auswahl bietet entsprechend auch das grandiose Line-Up, das sich in so gar keine bestimmte Richtung schieben lassen will (außer in die vom Mainstream am weitesten entfernte). „Wenn ich ein Mainstream-Festival machen wollen würde, dann wäre das natürlich risikoärmer, es würden wahrscheinlich viel mehr Leute kommen, aber das ‚Rosa-Laub‘ ist mein Herzblut und ich wollte ein Festival machen, bei dem ich selbst gerne Gast wäre.“ Es geht darum, Bands zu entdecken, die noch niemand kennt, gute Musik aus unterschiedlichsten Genres zu hören und natürlich um die einzigartige Stimmung im Garten des Gasthofs. Und der sieht tatsächlich ein bisschen so aus, wie man sich „Rosa Laub“ vorstellen würde: Bunte Lampions und Hängematten hängen von Obstbäumen, überall verteilen sich bequeme Liegestühle und Sessel. Der passende Name ist übrigens ein rein zufälliges Ergebnis einer Wikipedia-Recherche. „Das erste Mal hat das Festival am sechsten und siebten Juli stattgefunden und da wurde 1979 in der DDR die gleichnamige Rockoper uraufgeführt. Es geht übrigens um ein Mädchen, das mit seinem Motorrad durch die Lüfte fliegt. Verrückt. Wie passend.

Live is Live

Ab diesem Jahr ist der Passauer Liveclub Zauberberg Veranstalter des Festivals. Seit September 2018 engagiert sich Marlies nun Vollzeit für die Livemusikszene in Niederbayern. Davor war sie parallel Grafikerin bei einem Brillenhersteller. Doch die Arbeit im Nachtleben ist hart und als sie während ihrem Hauptberuf immer wieder durch die Organisation des Clubs gestört wurde, war klar: Jetzt braucht es eine Entscheidung. Und Marlies wäre nicht Marlies, hätte sie sich für die sichere Schiene entschieden. Also Job gekündigt, zur Freundin nach Berlin gereist und einen Monat später war der Zauberberg der neue Job. „Es war natürlich Angst dabei. Kann der Zauberberg das tragen? Komme ich mit wenig zurecht? Ich brauche eigentlich kein Geld, habe alles auf das Minimum heruntergeschraubt. Ich kaufe mir auch keine Klamotten mehr. Dafür ist bei einer 50- bis 60-Stunden-Woche aber auch einfach keine Zeit mehr“, lacht Marlies. Zeit und Geld sind überhaupt die Gründe dafür, dass der Livekulturraum fehlt, denn hier ist es mit einem DJ-Pult nicht getan. Licht-Equipment für die Bühne, Mischer, Kassenpersonal, Bandbetreuung, Catering, um nur einige wenige Punkte zu nennen. Ein Aufwand, der sich am Ende aber doch immer wieder lohnt, wenn es endlich losgeht, die Gäste das Gelände betreten und erst einmal rufen: „Wow, das ist wie Urlaub!“

Festival

Kampf gegen das Konzertgänger-Klischee

Außerdem wird Marlies in ihrer Arbeit vom Kampf gegen das leidige Konzertgänger-Klischee angetrieben: „Dieses Stereotyp ‚Konzertgänger‘ ist immer noch negativ behaftet. Das sind wilde Leute, die saufen so viel und führen sich auf. Das ist immer noch in den Köpfen der Leute drin. Aber das ist ganz das Gegenteil. Die Konzertgänger sind angenehme Menschen und wir haben noch nie Probleme mit unseren Gästen gehabt. Nicht im Zauberberg und nicht beim ‚Rosa-Laub‘. Es ist alles harmonisch und ich wünsche mir, dass der Stellenwert für Livekultur noch ein bisschen nach oben rutscht.“ Ein nachvollziehbarer Wunsch, schließlich arbeitet Marlies seit vielen Jahren daran, genau das zu erreichen.

Am nächsten Abend stehe ich wieder auf dem Gelände und als es langsam dämmert, die Lichter die bunten Lampions anstrahlen und ich mit einem verdammt leckeren Cocktail in der Hand die Band „The Sonic Brewery“ abfeiere, bin ich absolut sicher, dass Marlies hier auf dem richtigen Weg ist. Cheers!

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Bildquelle: privat