Arm und Reich: Wer gehört wirklich zur Mittelschicht?

Immer wieder bezeichnen sich Multimillionär*innen in den Medien als Bürger der Mittelschicht – trotz ihres hohen Einkommens und Vermögens. Doch nicht nur Reiche, sondern auch Arme schätzen ihre finanzielle Lage oft falsch ein. Warum ist das so?

„Unser Vater hat uns früher mit einem Rolls-Royce zur Schule gefahren“, erzählt Victoria Beckham wenige Sekunden nachdem sie behauptet, in einer Arbeiterfamilie aufgewachsen zu sein. Der Interview-Ausschnitt aus der neuen David Beckham Doku auf Netflix ging vor Kurzem auf TikTok viral. Viele machten sich über die Aussage lustig und waren entsetzt, wie realitätsfern ihre Wahrnehmung ist. Doch sie ist kein Einzelfall.

@netflix

the banter in the #beckham house is brilliant 💅

♬ original sound – Netflix – Netflix

Zwar Privatjet und 20.000 Euro Netto, aber immer noch Teil der bürgerlichen Mitte

Friedrich Merz behauptete mal in einem Interview mit der Bild, er gehöre zu oberen Mittelschicht. Im selben Interview gab er zu, Millionär zu sein. Der Merz, der 2022 mit seinem Privatflugzeug zu Christian Lindners Hochzeit auf Sylt flog. Der Merz, der im Laufe seines Lebens mehrere führende Positionen in Großkonzernen hatte, bei denen er bis zu 5.000 Euro pro Tag verdiente. Auch Olaf Scholz sagte 2020 im Bericht aus der Berlin in der ARD: „Als reich würde ich mich nicht empfinden“ – obwohl er zu dem Zeitpunkt als Finanzminister etwa 20.000 Euro pro Monat verdiente und damals auch seine Ehefrau Britta Ernst als Bildungs- und Jugendministerin in Brandenburg um die 14.000 Euro pro Monat erhielt, Aufschläge nicht einberechnet. Ganz normale Mittelschicht.

Man könnte Merz und Scholz die böse Absicht unterstellen, ihre Aussagen dienen nur dazu, Wähler*innen zu sammeln. Das mag vielleicht sein, aber der eigene finanzielle Status wird tatsächlich sehr häufig falsch wahrgenommen – sowohl von Reichen als auch von Armen.

Eine Studie der Universität Konstanz zeigte, dass Menschen in Deutschland dazu neigen, sich in der Mittelschicht einzuordnen. Vor allem auch die, die deutlich reicher oder ärmer als der Durchschnitt sind. Die Befragten sollten sich und ihr Einkommen auf einer Skala von eins bis zehn einordnen. Sowohl die oberen als auch die unteren zehn Prozent der tatsächlichen Einkommensverteilung zählten sich selbst im Schnitt noch zur Mittelschicht.

Vergleiche und Falschinformation

Eine der Hauptgründe für dieses Phänomen ist der Vergleich untereinander. Im Alltag der meisten Menschen gibt es wenig sozio-ökonomische Durchmischung. Das heißt: Man hat wenig Kontakt zu Menschen aus anderen finanziellen Schichten, sei es im Beruf oder privat. Schaut man sich unter seinen Freund*innen um, ist man meistens finanziell ziemlich durchschnittlich. Manche haben vielleicht mehr, aber es könnte einem auch deutlich schlechter gehen.

Aber auch politisch motiviertes Framing von Medien oder Politiker*innen fördert die falsche Wahrnehmung. Mögliche Lösungen werden emotionalisiert oder beabsichtigt missinterpretiert. Außerdem wird das Mindesteinkommen für die Mittelschicht oft falsch eingeschätzt. Ärmere Menschen schätzen diese Schwelle deutlich niedriger ein als sie tatsächlich ist. Reiche wiederum stufen diese Grenze viel höher ein. So denken beide, sie gehören der Mittelschicht an.

Pauschal lässt sich nicht sagen, wann eine Person in Deutschland reich oder arm ist. Das hängt vor allem mit der Haushaltsgröße zusammen. Für Alleinstehende beginnt die Mittelschicht bei 1.500 Euro Nettoeinkommen pro Monat und endet bei 4.000 Euro, alles darüber gehört zur oberen Einkommensschicht, man könnte sagen: reich. Bei einer Familie mit zwei Kindern verdoppelt sich die Grenze zur Mittelschicht. Sie beginnt dann also bei 3.000 und endet bei 8.000 Euro.