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Mobbing: „Er sagte: ‚Ich könnte dir jetzt ganz leicht das Genick brechen.'“


5. Zoe*, 28

Ich komme aus einer Familie, die kaum Geld hatte, meine Eltern haben getragene Klamotten meiner Mitschüler gerne entgegen genommen – für mich war es die Hölle damit in die Schule zu müssen. Es war erniedrigend, wenn man dem Kind von dem man gerade die getragene Kleidung am Leib trägt, dabei zuhören musste, wie es damit prahlt, was es für neue Sachen bekommen hat. Die abwertenden Blicke meiner Mitschüler zu sehen und gesagt zu bekommen, dass man aussieht wie ein Altkleiderständer, obwohl es teilweise Markenklamotten waren, die ja vorher von einer „beliebten“ Schülerin getragen wurden, haben meinem Selbstbewusstsein einen ordentlichen Tritt verpasst.

Nach dem Wechsel auf die Gesamtschule in der Nachbarstadt habe ich gehofft, es ist anders. Ich habe mich darauf gefreut auf eine neue Schule zu gehen, neue Leute kennen zu lernen, Kontakte zu knüpfen, Freundschaften zu schließen. Ich hatte zwar in der Grundschule eine Freundin, allerdings bin ich mir heute sicher, dass sie nur meine Freundin war, weil wir beide die Außenseiter waren und es einfach niemand anderen gab der etwas mit uns zu tun haben wollte.

Klar hatte ich auch Angst vor dem großen Unbekannten, aber die Vorfreude war größer – bis Tag eins.
Alles wurde noch schlimmer, denn ich hatte nicht daran gedacht, dass auch einige Schüler aus der Grundschule (bis auf meine Freundin) auf die gleiche Gesamtschule gehen würden. In die gleiche Klasse.
Die erste Stunde hat noch gar nicht angefangen, da wurden –  die mir noch unbekannten –  neuen Schüler gleich informiert . Keinen einzigen von denen hat es interessiert, wie ich mich gefühlt habe. Ich hatte Bauchschmerzen, mir war so übel und ich hatte damit zu kämpfen, nicht sofort in Tränen auszubrechen, denn das wäre nur ein weiterer Grund gewesen mich fertig zu machen. Das war wie in einem Alptraum.
Wieder wurde ich wegen meiner Größe, meines Aussehens, meiner Kleidung etc. täglich beleidigt. Mir ging nur eine Frage durch den Kopf: „Was habe ich diesen Leuten getan, dass sie mich so behandeln?“
Bei uns saßen immer nur die „coolen“ Leute hinten. Ein sehr unangenehmes Gefühl, wenn man nicht weiß was hinter einem passiert. Sie haben mich mit allem möglichen beworfen. Haben mich mit einem Spuckrohr beschossen oder sich ein Katchi gebastelt und mich zur Zielscheibe gemacht. Sie haben mir Kaugummi in die Haare geklebt. Heulend habe ich auf dem Schulklo versucht, noch was zu retten. Ich war am Boden und hab mich oft gefragt, ob ich es überhaupt verdient habe, zu leben. Habe mich selbst in Frage gestellt und irgendwann einfach gedacht, dass ich daran Schuld bin. Immerhin gab es niemanden, der bereit war zu helfen, obwohl es offensichtlicher nicht ging.
Ich musste neben einem Mädchen aus meiner Klasse sitzen. Seit Stundenbeginn hat sie mich permanent in den Arm gekniffen und drauf geboxt bis ich irgendwann so wütend war, dass ich aufgestanden bin. Ich hab sie angeschrien, dass sie mich in Ruhe lassen soll. Ich habe sie gefragt, was ich ihr getan habe, aber sie hat nur gelacht. Alle haben nur gelacht und gesagt, dass ich peinlich bin. Dass mein Verhalten peinlich ist und ich mich nicht so anstellen solle.
Am schlimmsten aber war, wie der Lehrer sich verhalten hat. Obwohl er alles mitbekommen hat, hat er MICH des Raumes verwiesen. Das war so erniedrigend, dass von der Wut in meinem Bauch nur noch Verzweiflung und Trauer übrig blieb. Ich dachte mir: “Wenn mir nicht einmal die Lehrer helfen, wer dann?“
Meine Welt hat einen weiteren Riss bekommen und ab dem Tag wusste ich, dass die sehr wohl in der Lage sind etwas zu ändern, es aber nicht wollen und ich von diesen Menschen nichts erwarten kann.

Auf dem Schulhof und in den anderen Klassen haben sie erzählt, ich hätte Läuse oder irgendwelche anderen Krankheiten.
Als jemand zu mir „Läuse-Zoe“ gerufen hat, habe ich mich umgeschaut und gefühlt waren alle Blicke auf mich gerichtet. Das erste Mal hat es mir so den Boden unter den Füßen weggezogen, dass ich nur noch auf die Knie gesunken bin und fürchterlich geweint habe. Mitten auf dem Schulhof. Es kam sogar ein Mädchen aus meiner Klasse und hat mich getröstet. Es war das Mädchen was mich in den Arm gekniffen und geboxt hatte. Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte oder nicht.
Ich habe es dann geschafft, mich zu beruhigen und genau diesen Moment hat sie ausgenutzt, um mir zu sagen, dass sie es war, die diese Lügen erzählt hat. Ich konnte gar nicht anders, als sie ungläubig anzuschauen. Mit einem fiesen Grinsen im Gesicht hat sie gesagt: „Es tut mir leid!“
Das Einzige, was ich in dem Moment noch spürte war Leere. Die Zeit blieb stehen. Alles hörte sich nur noch gedämpft an, wie durch eine dicke Glasscheibe.

Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz

An alle Betroffenen: So schwer es manchmal fällt, weiterleben zu wollen und so aussichtslos die Situation oft erscheint: gebt nicht auf. Wendet euch an Freunde, Familie, Institutionen oder sucht telefonisch Unterstützung, wie beispielsweise beim Hilfetelefon. Teilt euch mit und bleibt nicht allein mit eurem Schmerz.

Gebt irgendwelchen minderbemittelten Losern nicht die Macht, über euer Selbstwertgefühl zu bestimmen. Dass ihr die Qualen übersteht und weitermacht, obwohl ihr zu zerbrechen droht, macht euch zu wahnsinnig starken Menschen. Seid euch eures Wertes und eurer Kraft bewusst. Egal, ob ihr homosexuell oder asexuell, introvertiert oder extrovertiert seid, blaue Haare habt oder in eurer Freizeit gerne Mittelalter spielt – lasst euch das Sein nicht verbieten.

*Einige Namen der Personen wurde zu ihrem Schutz von der Redaktion geändert. Die Bilder entsprechen nicht den Personen.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz