My Body, My Choice: Frauen sollten selbst über ihren Körper bestimmen können
Die Debatte um den Paragraf 219a wurde hitzig und mit harten Bandagen geführt – wie immer, wenn es um das Thema Schwangerschaftsabbruch geht. Eine Ärztin wurde zu 6000 Euro Strafe verurteilt, weil sie im Leistungskatalog auf ihrer Homepage den „Schwangerschaftsabbruch“ aufführt. Das gilt als Werbung. Ein knackiges Sümmchen für das bloße Ausschreiben eines Wortes. Nicht nur die Werbung für Abbrüche ist hierzulande rechtswidrig, auch die Durchführung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Wie weit sind wir noch entfernt von „my body, my choice“?
previously…
Für das Landgericht Gießen ist klar: Die Ärztin hat sich strafbar gemacht, denn neben der Werbung sieht es die Bedingung des Vermögensvorteils erfüllt. Wer auf den zugehörigen Link auf der Praxishomepage klickt, kann eine pdf-Broschüre als Mail anfordern, die über die Methoden und die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs informiert. Anders als in anderen Ländern, werden hier die Kosten – je nach Praxis und Methode zwischen 200 und 600 Euro – nur in speziellen Fällen übernommen. Der Paragraf 219a soll verhindern, dass Ärzte zu Schwangerschaftsabbrüchen raten, um damit Geld zu verdienen. Soweit so verständlich.
Allerdings ist der Paragraf rigoros formuliert: Schon die reine Information, dass die Praxis einen Abbruch durchführt, wird als Werbung definiert. In der Realität gleicht das einem Informationsverbot, denn Ärzte haben kaum eine Chance, ihre Patientinnen umfassend über Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Das müssen Beratungsstellen wie Pro Familia im persönlichen Gespräch übernehmen. Googelt man nach diesen Informationen, findet man sich schnell auf den Seiten einschlägiger Abtreibungsgegner wieder, inklusive Holocaust-Vergleiche und Kindesmordanschuldigungen. Sonderlich nützlich ist das für Frauen in einer Konfliktsituation natürlich nicht. Inzwischen gibt es eine Petition gegen den Paragrafen 219a und auch die Linke, SPD, Grüne und FDP haben sich für eine Gesetzesänderung ausgesprochen. Wo sachgerechte Information aufhört und wo Werbung anfängt, sollte nicht in der Grauzone ausklamüsert werden müssen.
Relikt aus alten Zeiten
Tatsächlich gehen die Paragrafen, die einen Schwangerschaftsabbruch regeln bis ins Jahr 1933 zurück. Damals beanspruchten die NS-Machthaber das Kontrollrecht über den weiblichen Körper und über den Wert des Lebens. Weibliche Selbstbestimmung hatte da nicht gerade Konjunktur.
Seit dem Jahr 1993 gilt nach Paragraf 218a: Ein Schwangerschaftsabbruch ist straffrei, wenn kriminologische, medizinische oder psychologische Indikatoren vorliegen. Die Schwangerschaft also entweder das Leben der Frau gefährdet oder das Resultat einer Vergewaltigung ist. Das ist allerdings nur in 5% der durchgeführten Abbrüchen der Fall.
Damit Vater Staat auch die übrigen 95% als straffrei erachtet, muss frau Bedingungen erfüllen: Sie muss ein verpflichtendes Beratungsgespräch wahrnehmen, anschließend müssen mindestens 72 Stunden vergehen, ehe ein Arzt den Abbruch bis zum Ende der 14 Schwangerschaftswoche durchführen darf. Selten greift das Gesetz so vehement in das Selbstbestimmungsrecht und die Souveränität einer Frau über ihr Leben und ihren Körper ein, wie bei einer Schwangerschaft.
Tabuthema Schwangerschaftsabbruch
„Wir haben abgetrieben“ – auf der Titelseite des Sterns bekannten sich am 6. Juni 1971 öffentlich 374 Frauen, trotz gesetzlichem Verbot, zu ihrer Abtreibung. Damals ein absolutes Tabuthema. Nur damals? Auch heute reden wir nicht über Schwangerschaftsabbrüche. Oder wie viele Fälle kennst Du aus Deinem Umfeld? Keinen? Laut Schätzungen müsstest du aber, denn im Durchschnitt entscheidet sich jede fünfte Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben gegen eine ungewollte Schwangerschaft.
Es ist ein heikles, emotionales und viel zu oft auch mit Scham besetztes Thema, über dem eine gehörige Portion Doppelmoral hängt. Ungewollte Schwangerschaften gab es schon immer, wird es immer geben und es gehören immer zwei dazu. Das deutsche Recht gängelt Frauen aber nach wie vor, statt rechtliche Schutzräume zu schaffen und auf einen verantwortungsbewussten Umgang zu setzen. Es ist absurd zu glauben, eine Frau entscheide sich leichtfertig für eine Operation unter Vollnarkose, die körperliche und psychische Komplikationen und Nebenwirkungen nach sich ziehen kann. Bei uns, immerhin kam die AfD mit einem Abtreibungsverbot im Wahlprogramm auf 12,6 Prozent, aber auch in ganz Europa wirkt sich der rechtskonservative Ruck auf die Abtreibungsdebatte aus. In Polen ist das Gesetz mittlerweile so massiv verschärft, dass viele Frauen im Ausland Hilfe suchen. Allerdings ist das sehr kostspielig und so nur der Mittel- und Oberschicht möglich. Neben Irland, das einem Bericht von Amnesty International zufolge eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze der Welt hat, ist der Abbruch auch in Malta nach wie vor eine Straftat.
Unterstützen statt bevormunden
Der Gesetzgeber will nicht, dass die Öffentlichkeit über einen Abbruch redet, als wäre es eine normale Sache, so das Landgericht Gießen. Eine gewollte oder ungewollte Schwangerschaft wird nie eine normale Sache sein. Paragraf 219a ist nicht zeitgemäß, aber mit dem #wegmit219a ist es nicht getan, es muss sich etwas ändern. Frauen haben das Recht auf freie Entscheidung über ihr Leben und ihren Körper. Das beinhaltet auch frei zugängliche Informationen über Abbruchmethoden. Das sollen wir, das sollte die Gesellschaft und das sollte auch der Staat jeder einzelnen mündigen Bürgerin zutrauen.
Warum fangen wir nicht an, sie in dieser schwierigen Situation zu unterstützen, wo wir nur können. Sei es bei der Beratung während einer Schwangerschaft, beim Weg durch einen Abbruch, aber eben auch nach einer Schwangerschaft. Schreien die Abtreibungsgegner auch genauso laut, wenn es um mehr Geld für Kitas und Kindergärten geht? Wenn es um mehr Geld für sozial schwache Familien geht? Wenn es um familienfreundliche Arbeitsmodelle geht? Ich kann sie nicht hören.
Die aller meisten Frauen handeln verantwortungsbewusst, ob sie sich nun für oder gegen ein Kind entscheiden. Eine Gesellschaft, die ihre Bürger und Bürgerinnen ernst nimmt, sollte für ein Gesetz sorgen, das Frauen in ihrer körperlichen Integrität rechtliche Sicherheit gibt und Ärzte und Ärztinnen vor Strafverfolgung schützt. Dafür lohnt sich der Gang in die nächste Instanz.