Viele Menschen bauen zu Influencer*innen eine Beziehung auf

Parasoziale Beziehungen: Wenn Bibi und Julian Heulanfälle auslösen

Beziehungen funktionieren nicht nur in unmittelbarer Nähe, sie können auch digital sein oder den Fernseher zwischengeschalten haben: dann spricht man von sogenannten parasozialen Beziehungen.

Julian und Bibi haben sich getrennt: Schock, Verwunderung, Entsetzen. Das deutsche Internet kann es nicht glauben, beginnt nach möglichen Indizien zu suchen. Vielleicht handelt es sich ja doch nur um einen Prank. Die können sich doch nicht wirklich getrennt haben, was ist denn dann mit den Kindern? Ganz Instagram und TikTok sprechen von nichts anderem mehr. Ein User schreibt:

„Meine Freundin weint seit drei Stunden, weil sich zwei Fremde getrennt haben."

Zwei Fremde. Fremde, die ihr gesamtes Leben mit den Follower*innen teilen. Angefangen vom Frühstück über Familienfragen bis hin zu Dingen, die gerade vielleicht nicht so glatt laufen. Möglicherweise sind sie dann gar nicht mehr so fremd. Und dann passiert genau das, was vielen bei Bibi und Julian passiert ist: sie haben eine parasoziale Beziehung zu ihnen aufgebaut.

Parasoziale Beziehungen sind laut Definition Beziehungen zwischen Konsument*innen und Prominenten oder fiktiven Charakteren, die entweder freundschaftlich oder sogar romantisch sein können. Diese Beziehungen sind jedoch einseitig: denn die Prominenten kennen die meisten Fans in der Regel nicht. Parasoziale Beziehungen funktionieren ähnlich wie andere soziale Beziehungen: durch regelmäßige Interaktion über einen längeren Zeitraum werden sie aufgebaut und gefestigt. Ähnliche Interessen bieten ein hohes Maß an Identifikation.

Kommen wir zurück zu Bibi und Julian. Julian ist in seiner aktuellen Instagram-Story im Bett mit seinen beiden Kindern und im Auto während eines Ausflugs zu sehen. Auch Bibi zeigt oft private Aufnahmen mit ihren Kindern: so postete sie kürzlich beispielsweise ein Bild, auf dem sie und ihre Familie die Wand in ihrem neuen Haus streichen. Alles Momente, die intim sind, Nähe aufbauen und Vertrauen schaffen.

Parasoziale Beziehungen gibt es jedoch nicht erst seit Social Media. Schon in den 1950er-Jahren erforschten Psycholog*innen dieses Verhalten am Beispiel von dem neuen Massenmedium Fernsehen. Zuschauer*innen fühlten sich in Talkshows und Nachrichten persönlich angesprochen und fieberten mit, wodurch sie beinahe unwissentlich eine Beziehung aufbauten. Parasoziale Beziehungen gibt es jedoch auch mit fiktiven Buchcharakteren, Serienstars oder Sänger*innen.

Durch Parasoziale Beziehungen fühlen Zuschauer*innen sich wohl: denn parasoziale Beziehungspartner sind verlässlich und agieren sicher und konstant. Es können außerdem starke Fangemeinschaften entstehen, die die gleichen Interessen teilen und sich gegenseitig bestärken. Auf der anderen Seite kann diese Art der Beziehung auch zu negativen Emotionen führen, wenn Erwartungen nicht erfüllt werden können. Auch das Social-Media-Marketing ist vor dem Hintergrund der parasozialen Beziehung kritisch zu bewerten. Follower*innen meinen, mit den Influencer*innen befreundet zu sein. Werbung fühlt sich so wie die Empfehlung eines guten Freundes an, obwohl viele Influencer*innen möglicherweise gar nicht so sehr hinter dem Produkt stehen, wie sie tun.

Ob als Teenie mit unserem Serienschwarm oder jetzt mit einem unserer Lieblingsinfluencer: mit Sicherheit haben die meisten von uns schon mal eine parasoziale Beziehung geführt. Hier ein paar Beispiele:

„Ich habe total für Gideon de Villiers aus Rubinrot geschwärmt, hat sich manchmal so angefühlt, als ob ich tatsächlich mit ihm zusammen gewesen wäre.“

Lena (22)

„Ich habe One direction geliebt, habe so viele Videos über die gemacht, fanfictions geschrieben und über sie geredet, als ob ich sie kennen würde.“

Amelie (21)

„Mir fällt niemand bestimmtes ein, aber ich merke schon stark, wie ich Influencerinnen in mein leben einbinde. mir geht es nach einem video von ihnen immer besser, wie nach einem telefonat mit meiner besten freundin.“

Caro (22)

Na, erkennt ihr euch wieder?

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Bildquelle: Kerde Severin von Pexels; CC0-Lizenz