Liebe und Distanz

Eine Idee Liebe: Gehen, um zu Bleiben – Identitätsverlust in Beziehungen

Die romantische Liebe ist zum Kitt unserer Paarbeziehungen geworden. Dass sie der Kitt zweier Menschenleben ist, ist dabei eine noch recht junge Erfindung. Seitdem hat sich viel getan. In dieser Kolumne beschäftigen sich unsere zwei Autorinnen Lena und Rahel mit dem Ursprung der romantischen Liebe. Wo kommt sie her, wo will sie hin? Ist die Liebe zwischen Swipe links und Swipe rechts nur noch ein Produkt der Liebesökonomie?

Zu Beginn einer Beziehung möchte man am liebsten nur noch Zeit mit seinem Partner verbringen. Der Rest bleibt da erst einmal auf der Strecke: Freunde werden vertröstet, Hobbys hintenangestellt, die Familienbesuche zum notwendigen Übel. So richtig genießen kann man die Zeit außerhalb der Beziehung nicht. Immer wieder stehlen sich die Gedanken fort. Was er wohl gerade macht? Ob sie mich vermisst?

Das ist zum einen vollkommen normal, aber andererseits wird es kritisch, wenn dieser Zustand über die anfängliche Verliebtheitsphase hinaus andauert und weiterhin alles andere hintenangestellt wird, nur um bei seinem Partner zu sein. Nicht selten passiert es, dass sich Freundschaften auseinanderentwickeln oder neue Bekanntschaften erst gar nicht entstehen. Am Ende hockt man dann zusammen da und fragt sich: Wo bin Ich inmitten von so viel Wir eigentlich hin?

Identitätsverlust und emotionale Abhängigkeit

Diese Art von Identitätsverlust geht nicht selten mit dem Phänomen der emotionalen Abhängigkeit einher. Betroffene besitzen oftmals ein geringes Selbstwertgefühl und entwickeln daraus starke Verlustängste. Die Angst vor dem Alleinsein verstärkt all dies noch. Die Folge: Man verliert sich selbst, bei dem Versuch, dem anderen so nah wie möglich zu sein. Doch nicht immer muss sich dahinter eine emotionale Abhängigkeit verstecken.

Auch in unauffälligen Beziehungen, bei denen man nicht unbedingt von emotionaler Abhängigkeit sprechen würde, kann man durchaus ein unausgewogenes Nähe-Distanz-Verhältnis feststellen. Sei es aus Gewohnheit oder Gemütlichkeit heraus entstanden, die Distanz weicht auch hier einer erstickenden Nähe. So unterschiedlich die Beweggründe sind, die Folgen bleiben dieselben: Sozialer Rückzug und Identitätsverlust. Meist fällt es den Betroffenen erst nach einiger Zeit auf, wenn sie einmal wieder allein und nur für sich sind. Das Wochenende bei einer alten Freundin, das Barhopping mit dem besten Kumpel fühlt sich dann an wie ein Ausbruch und die zurückgewonnene Freiheit schmeckt bittersüß. Plötzlich stellt man schwerlich fest, wie sehr man sich selbst vermisst hat. Die Sehnsucht nach mehr Unabhängigkeit und Individualität wächst noch im selben Atemzug.

Gleichzeitig schleicht sich ein ungutes Gefühl ein. Die Erkenntnis gleicht einem Schock. Denn was sagt das über die Beziehung aus? Was haben das einschleichende Gefühl des Überdrusses innerhalb der Beziehung und der Drang nach Freiheit außerhalb davon zu bedeuten? Hat sich die Liebe totgelaufen?