Die Hölle eines jeden Studis: Das Pflichtpraktikum
Das häufig im Studium enthaltene Pflichtpraktikum sollte uns die Türen zur Arbeitswelt öffnen, doch stattdessen entpuppt es sich für viele von uns als wahrer Albtraum. Statt einen Blick ins Berufsleben zu werfen, kämpfen wir mit Hindernissen bei der Suche nach einem Platz, erleben finanzielle Ausbeutung und sehen uns mit Ungerechtigkeiten konfrontiert.
Disclaimer: Der Artikel basiert auf den Erfahrungen unserer Autorin.
Das Erfahrungs-Paradox
Die Herausforderung, einen Praktikumsplatz zu finden, mündet häufig in einem Paradoxon: Um Erfahrungen zu sammeln, erwarten Unternehmen bereits vorhandene Praxiskenntnisse. Wir, mit theoretischem Wissen bewaffnet, stehen vor Firmen, die nach konkreten praktischen Erfahrungen gieren. Dadurch folgt dann Absage für Absage – häufig melden sich die Unternehmen gar nicht erst zurück. Das frustrierende Gefühl der Chancenlosigkeit ohne Vorerfahrung fesselt viele von uns in einem Teufelskreis aus Selbstzweifeln. Wie sollen wir erste Erfahrungen sammeln, wenn selbst Praktika diese voraussetzen? Genau dafür ist ein Pflichtpraktikum doch eigentlich gedacht, oder nicht?
Vitamin-B als Türöffner
Einfacher wird es wiederum für Studis mit einer ordentlichen Portion Vitamin-B. Auch bei Pflichtpraktika spielen die persönlichen Beziehungen eine große Rolle. Wenn der eigene Vater Kontakte hat, Freund*innen bereits in dem Unternehmen arbeiten oder die Mutter mit dem Chef befreundet ist, ergeben sich daraus deutliche Vorteile im Vergleich zu jenen ohne solche Verbindungen. Meist reicht ein Anruf oder eine Mail, um auf die Tochter oder den Sohn aufmerksam zu machen und die Bewerbung zu bevorzugen. Akademiker*innen-Kinder haben tendenziell die besseren Kontakte, während Kinder von Arbeiter*innen den Kürzeren ziehen. Auf die individuellen Fähigkeiten wird dabei oft nicht geachtet. Gerecht ist das ganz sicher nicht, realistisch leider schon.
Ein Praktikum setzt Privilegien voraus
Wenn wir dann endlich einen Platz gefunden haben, werden wir schnell mit der harten Realität konfrontiert. Laut Gesetzgebung haben wir als Student*innen keinen Anspruch auf Mindestlohn. „Handelt es sich um ein Pflichtpraktikum, das von Schule, Ausbildungseinrichtung oder Hochschule vorgeschrieben ist, haben die Praktikanten keinen Anspruch auf den Mindestlohn.“ Wenn überhaupt bezahlt, bewegen sich die Gehälter von Pflichtpraktika meist im Minimalbereich. Es gibt ganze Firmen, die sich durch schlecht bezahlte Praktikant*innen über Wasser halten – und das völlig legal.
Gerade für sich selbst finanzierende Studis stellt die schlechte Bezahlung eine große Herausforderung dar. Häufig müssen wir für die Praktika nämlich zeitweise in eine neue Stadt und manchmal sogar in ein neues Land ziehen. Im schlimmsten Fall zahlen wir dann doppelt Miete und müssen schauen, wie wir den Rest finanzieren. Neben einem 40-Stunden-Praktikum bleibt wenig Zeit für Minijobs.
Ist ein Pflichtpraktikum den finanziellen Kampf wert?
Es ist wahr, dass ein Praktikum uns sowohl hilfreiche Erfahrungen als auch wertvolle Kontakte schenken kann. Empfehlenswert ist ein Praktikum daher sicherlich – aber nur unter diesen Bedingungen: Du solltest einen richtigen Einblick in den Job erhalten, Verantwortung übernehmen und im Team integriert werden, nicht nur Kaffee-Bedienung oder Kabelhalter*in spielen. Außerdem solltest du fair vergütet werden, denn deine Arbeit ist mehr wert als ein Obstkorb und zwei Yogastunden die Woche.
Klar ist: Wer ein Pflichtpraktikum absolviert, muss privilegiert genug dafür sein. Dies als Voraussetzung für den erfolgreichen Abschluss eines Studiums festzulegen, hat einen klassistischen Beigeschmack und bedarf einiger Umstrukturierung, beispielsweise einer Einführung des Mindestlohns für studentische Praktikant*innen.
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