Was passiert, wenn ich die Pille absetze? Ein Erfahrungsbericht
1961 kam sie auf unter dem Namen „Anovlar“ auf den Markt der Bundesrepublik Deutschland und wurde zum Zeichen weiblicher Selbstbestimmung. Die Rede ist von der Anti-Baby-Pille. Mehr als 50 Jahre später gehört sie zum Alltag – fast wie selbstverständlich klingelt im Freundeskreis um 8 ein leises Surren, die Mädels greifen in die Tasche, holen Blister mit blumigen Namen wie Yasminelle, Belara oder Aida hervor. Pardon, griffen. Denn in meinem Freundeskreis häufen sich die Frauen, die die Pille absetzen. Ich wollte wissen, warum sie das tun und welche Erfahrungen sie damit gemacht haben.
Ein Zeichen der sexuellen Revolution
Die 60er Jahre stehen unter dem Vorzeichen der sexuellen Revolution. Maßgeblich zu einer offeneren Diskussion, einer freie(re)n Liebe trug die Einführung der ersten Anti-Baby-Pille bei. Ursprünglich sollte das von der Krankenschwester Margaret Sanger und der Biologin Katharine McCormick angestoßene Präparat vor allem Menstruationsbeschwerden lindern – die Empfängnisverhütung stand nur als Nebenwirkung auf dem Beipackzettel.
Doch schon bald wurde klar, dass diese kleine Pille sexuelle Freiheit und Unabhängigkeit, genauso wie das Recht, selbst über den eigenen Körper zu entscheiden, die Familienplanung selbst zu bestimmen, bedeuten sollte. Nach Protesten der Kirche gehört die Pille inzwischen zum Alltag. Die neusten Statistiken für Deutschland besagen, dass mehr als jede zweite Frau die Pille nimmt – doch die Zahlen sind mehr als vier Jahre alt. Und das, was zumindest ich im Alltag beobachte, verändert sich schrittweise.
Ist Verhütung allein Frauensache?
Ein Blick in die Runde: Es sind Frauen Anfang bis Mitte 20, die sich bewusst gegen die Pille entschieden haben. Einen konkreten Kinderwunsch hat derzeit keine von ihnen. Eine Freundin erzählt, dass eigentlich nur noch die Mädels in festen Partnerschaften das Hormonpräparat zu sich nehmen. Ich frage sie, warum sie sich gegen die weitere Einnahme entschieden habt: „Ich habe nur gelegentlich Sex. Das ist mir die Einnahme all der Hormone nicht wert.“ Ich erinnere mich an ein Gespräch mit meiner Frauenärztin, die Frage, ob ich noch andere „Problemchen“ hätte. Denn der Hormoncocktail, so schien mir damals, war wie ein Wundermittel, das reine Haut verspricht genauso wie das Wachsen von Brüsten, das Lindern von Menstruationsbeschwerden. Wahrscheinlich hätte mich die richtige Pille auch cooler gemacht oder bessere Noten verschafft.
Aber auf dem Beipackzettel stehen eben auch Migräne, die Ab-oder Zunahme der Libido, ein erhöhtes Thromboserisiko, Stimmungsschwankungen, Depression und noch einiges mehr. Die Präparate von heute hätten längst nicht mehr die gleiche Zusammensetzung wie in den 60ern, seien längst nicht mehr so hoch dosiert, beruhigte mich meine Frauenärztin von knapp zehn Jahren.
Kondome sind die Alternative
Außerdem finden einige der Frauen, dass Verhütung nicht nur Sache der Frau sein sollte. Eine zitiert einen Artikel im Spiegel, nach welchem die Weitererforschung der Pille für den Mann abgebrochen wurde – wegen zu großer Nebenwirkungen. Dies sind aber genau die gleichen wie für Frauen. Raunen im Freundinnenkreis, die Männer sind bemüht zu sagen, dass sie das auf alle Fälle zumindest ausprobieren würden. Aber dass eher der weibliche Körper als der männliche pathologisiert wird, ist eine Geschichte, die zu einem anderen Zeitpunkt ausdiskutiert werden muss.
„Außerdem ist es nun wirklich nicht so schwer, mit Kondomen zu verhüten.“, wirft eine Freundin ein, „Der Mann soll halt einmal anständig ausmessen, sich informieren und seine passende Größe besorgen. Davon bekommt er keine Kopfschmerzen.“ Wo sie Recht hat…
Von Männerhass bis emotionaler Ausgeglichenheit ist alles dabei
Doch wie sieht das Resümee nach einigen Monaten ohne Pille aus? Ein Teil meiner Freundinnen ist begeistert. Vor allem emotional ausgeglichener zu sein, nennen die Mädels als positive Veränderung. „Es ist seltsam, wie du plötzlich merkst, dass dich so ein kleines Ding so krass manipuliert hat. Dass ich all die Jahre sensibler als nötig war. Das merken auch meine Mitmenschen, und deswegen ist es mir wert, dass meine Haut derzeit spinnt.“
Und das ist der Punkt, an dem andere Freundinnen zweifeln und zur Pille zurückkehren. Die Umstellung ist nicht einfach, denn dass sich der Körper und damit auch unser Nervensystem und Hormonhaushalt reguliert, dauert. Einige Freundinnen berichten von enormen Hautproblemen. Und auch die Geschichte mit der Psyche ist eben so eine Sache: „Ich habe seit dem Absetzen eine richtige Wut auf Männer und kann mich auch kaum kontrollieren.“
Es wäre tatsächlich spannend zu sehen, wer man wirklich ist ohne die tägliche Dosis an Hormonen. Einer Studie zufolge verändert sich über die Pille auch, wen man als attraktiv bewertet. Aber wie die Erfahrungen in meinem Freundeskreis zeigen, ist eben jeder Körper anders. Und der Sinn der Pille ist schließlich Veränderung. Welche Effekte welche Pille hat und ob es nicht auch einen Mittelweg gibt – nämlich die Reduktion von Hormonen – sollte jede Frau in Absprache mit ihrer ÄrztIn persönlich besprechen. Dafür – mehr Freiheit, körperliche Selbstbestimmung, Wohlbefinden – ist sie immerhin da, die Pille.