Platz-Wahl-Psychologie-Phänomen

Darum sitzen wir immer auf dem selben Platz

Im Hörsaal, den wir mehrmals die Woche besuchen, setzen wir uns gerne auf den immer selben Platz. In der Mittagspause dann führt uns unser Instinkt automatisch in die gleiche Ecke der Mensa. Und auch im Café, in dem wir nachmittags unsere Freundin treffen, sitzen wir gerne vorne am Fenster. Das ist einfach so. Wenn der Platz besetzt sein sollte, straucheln wir dann kurz und müssen uns erst einmal an die neue Situation gewöhnen. Aber warum eigentlich? Ist das die Macht der Gewohnheit? Unser Bedürfnis nach Sicherheit? Oder Faulheit, um uns nicht neu entscheiden zu müssen?

Fakt ist: Es liegt gar nicht an uns selbst. Es passiert automatisch. Dahinter steckt ein psychologisches Phänomen, das sich „Territorialität“ nennt. Klingt groß und irgendwie nach Krieg. Aber es geht um Frieden – um unseren eigenen und den mit unserer Umwelt. Eine Art Organisationsmechanismus leitet uns zum selben Platz und garantiert uns damit Sicherheit. Indem wir in Hörsälen und Klassenzimmern denselben Platz wählen, können wir die Beziehungen zu unseren Kommilitonen und Mitschülern in unserer Umgebung regulieren und kontrollieren. So fühlen wir uns wohler und weniger verletzlich.

Kontrolle & Konzentration

Wir wissen nicht, wieso wir es so tun, wie wir es eben immer tun. Aber Wissenschaftler haben sich schon vor beinahe 40 Jahren damit beschäftigt. In seiner Studie von 1980 untersuchte der italienische Psychologe Marco Costa das Phänomen bereits. Dafür hielt er einen Monat lang zwei Gruppen von Studierenden in zwei Hörsälen photographisch fest. Damit Faktoren wie Freundschaft keine Rolle bei der Platzwahl spielen, wählte er Erstsemester, und außerdem Räume mit wesentlich mehr Sitzen als Leuten. Und seine Annahme bestätigte: Die meisten Studierenden saßen immer und immer wieder auf dem gleichen Platz. Er schlussfolgerte, dass diese Wahl – oder eben Nicht-Wahl – dabei hilft, die Umwelt zu kontrollieren und auch eigene Ziele zu erreichen.

Apropos Ziele erreichen: Kann es sich positiv aufs Lernen auswirken, wenn wir dieselbe Position einnehmen? Ja, sagt Ralph B. Taylor von der Temple University in seinem Buch „Human Territorial Functioning: An Empirical Perspective on Individual and Small Group Territorial Cognitions“. Dadurch müssten wir keine Energie darauf verschwenden, uns immer wieder neu einzugewöhnen, und könnten uns aufs Wesentliche konzentrieren.

So können wir unsere Gewohnheit ganz einfach auf ein psychologisches Phänomen schieben, das uns alle regelmäßig in eine Richtung lenkt. In die Richtung des Stuhls in der letzten Reihe, in der Ecke oder am Fenster. Aber, wenn es so einfach ist, besser zu lernen und sich wohlzufühlen, lassen wir uns doch gerne lenken. Ist der Platz dann tatsächlich mal besetzt, sind wir zwar nach wie vor verwirrt, wissen aber, dass das nur der Ruf nach Sicherheit ist. Und können unserem Gehirn klarmachen, dass einen Platz weiter rechts kein Krieg ausbrechen wird.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz