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Reise ins schlechte Gewissen: Wie passen Urlaub und Umweltschutz zusammen?

Für viele Strandbadeorte gehört das allmorgendliche Wegräumen von Plastikmüll mittlerweile zum festen Ritual. Allein für den asiatisch-pazifischen Raum entstehen der Tourismusbranche jährlich Kosten von 622 Millionen Dollar.“ Diese schockierenden Zahlen hält die schweizer Natur- und Umweltschutzorganisation WWF fest. Und ich mache das Ganze mit meinem Verhalten kein Stück besser und trage dazu bei, dass es in Zukunft schlimmer werden wird. Nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut! Scheiß drauf, ich hab’s ja schon gesehen.“

“Weltreise” – Dieses Wort suggeriert irgendwie immer ein reiches Kind, das nach seinem Abitur Geld und ein Around-The-World-Ticket von den Eltern geschenkt bekommen hat und nun unbekümmert Selfies von überall postet. Aber das muss nicht sein. Mein Freund und ich sind jedenfalls mit einem One-Way-Ticket in unser zehnmonatiges Reisevergnügen um den Globus gestartet. Und bereits im Vorfeld unserer Reise habe ich mich schlecht gefühlt, dafür so viel fliegen zu müssen.

Hilfe, ich bin Teil des Problems!

Etwa 70 Prozent der Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Doch heute schwimmen in jedem Quadratkilometer der Meere hunderttausende Teile Plastikmüll. Seevögel verenden qualvoll an Handyteilen in ihrem Magen, Schildkröten halten Plastiktüten für Quallen und Fische verwechseln winzige Plastikteilchen mit Plankton“, heißt es bei WWF weiter.

In meinem Alltag versuche ich auf Fleisch zu verzichten und mich umweltbewusst zu ernähren und zu verhalten. Dennoch will ich mir nicht die Freiheit nehmen lassen, unsere Welt zu entdecken und zu bereisen. Ich weiß, das ist ein Widerspruch. Und mit meinem Verhalten trage ich nicht zu einer Besserung des Problems bei, im Gegenteil. Ich beschleunige es. Dieser „Nach mir die Sintflut“-Gedanke widert mich an. Touristen widern mich an. Touris, die jeden Preis für das eine perfekte Foto zahlen und in Scharen in klimatisierten Bussen alle Instagram-Punkte abklappern. Und doch muss ich mir eingestehen: Du bist auch hier und du bist Teil des Problems.

Selbstdarstellung vs. Umweltschutz – Geht nicht auch beides?

Denn auch ich poste schöne Urlaubsbilder auf Instagram, die meinen Freunden und Followern suggerieren, was für ein tolles Jetset-Life ich doch führe und wie schön es an all diesen Orten ist. Der ein oder andere möchte sich dann vielleicht auch das Recht herausnehmen, dasselbe erleben zu dürfen und bucht sein Flugticket. Klick. Was meine Freunde auf Instagram sehen, sind die schönen Bilder am Pool, vor dem Taj Mahal, oder auf einer einsamen, paradiesischen Insel. Was sie jedoch nicht sehen, sind die höllischen Fahrten in einem schwülen Bus, eingequetscht mit anderen, schwitzenden Reisenden, die wartende Schlange am „Instagram-Fotopunkt“ oder das Schleppen des schweren Rucksacks quer durch die Stadt bis zur Unterkunft bei 40 Grad plus.

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Die geschönten Bilder vermitteln aber noch viel mehr. Sie sagen: „Schau her, was ich mir leisten kann, was ich aus meinem Leben mache. Guck dir an, wie toll das ist. Was ich habe und du nicht.“ Und irgendwo ist es ja genau das, was wir unterbewusst wollen. Wir wollen wahrgenommen, geschätzt, respektiert, bewundert und geliebt werden. Das liegt in der menschlichen Natur. Ist es also verwerflich, diese Bilder auf Instagram zu posten? Ich weiß es nicht. Ich möchte einerseits, dass meine Freunde sehen, wo ich bin und andererseits möchte ich unsere Umwelt schützen. Wenn ich radikal wäre, dann müsste es heißen: ganz oder gar nicht. Entweder kein Instagram oder keinen auf Umweltschützer machen. „Aber geht nicht auch beides?“, würde jetzt mein verzweifeltes Ego fragen.

Das Problem des Massentourismus‘

Jedes Instagram-Bild ist ein Stich in die Magengrube für mein gespaltenes Ich. Denn bei jedem Mal schießen mir auch diese Gedanken in den Kopf: Vor drei Jahren war an diesem Ort noch nichts los und es lag vermutlich längst nicht so viel Plastikmüll herum wie jetzt. Und: Auch ich bin hauptsächlich durch Instagram an diesen Ort navigiert worden.

Das Tempo in dem die Tourismusbranche wächst, ist schockierend, aber wenig verwunderlich. Das Flugticket ist innerhalb weniger Minuten am Handy gekauft, das Essen wird per App ins Airbnb bestellt. All diese technischen Fortschritte, die uns das Leben so sehr erleichtern, führen dazu, dass Reisen schneller und einfacher wird. Die logische Konsequenz ist, dass immer mehr Menschen reisen wollen. Da Flüge und Hotels immer günstiger werden und die Menschen über mehr Geld für ihre Freizeit verfügen, wächst der Tourismus stetig weiter.

Besonders stark kann man dieses Phänomen in Neuseeland beobachten. „Im vergangenen Jahr stieg die Anzahl der internationalen Urlauber um zwölf Prozent auf 3,5 Millionen. Mit fast 100.000 Gästen stellt Deutschland die sechstgrößte Besuchergruppe, nach Touristen aus Australien, China, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Japan. Und das, obwohl die Anreise auf die Insel im Pazifik nicht unter 27 Flugstunden zu machen ist“, schreibt der SPIEGEL. „Bislang ist kein Ende des Booms in Sicht. Bis 2022 soll die Zahl ausländischer Gäste die 4,5-Millionen-Marke erreichen – ebenso viele Menschen, wie das Land Einwohner hat.“

„Ich will die Welt noch sehen, bevor sie zu Grunde geht“

Warum nur wollen wir das – Reisen, nur um anderen zu zeigen, wo wir sind? Manchmal scheint es so, als wolle man die Welt, wenn auch nur für bestimmte Zeit, an sich reißen. Wenn ich ans Reisen denke, dann kommen mir diese Gedanken in den Kopf: „Vielleicht ist in 20 Jahren schon alles kaputt, gerodet, vermüllt. Ich möchte die Welt jetzt noch sehen, bevor sie zu Grunde geht. Ich will auch sehen können, was meine Freundin, Schwester, Tante gesehen hat. Man lebt nur einmal. Jetzt hast du die Chance dazu, das zu tun, ergreife sie!“ – Wie selbstsüchtig und egoistisch, ich weiß. Und trotzdem einfach die bittere Wahrheit. Und dabei bin ich sicher nicht die Einzige, die so denkt.

Reisen ist ein Luxus, den man sich gönnen möchte. Es ist eine Art materieller Wert, der immer bleibt, der einem nicht mehr genommen werden kann. Es ist, als würde man sich Erinnerungen kaufen – ganz getreu nach dem Brechreiz auslösenden Reise-Motto unter Instagram-Posts: „Travel is the only thing you can buy that makes you richer.”

20 Tonnen Müll an nur einem Wochenende

Was mich neben der Schnelligkeit am meisten schockiert, sind die Massen an Touristen und der Müll, der produziert wird. Frühere Paradies-Inseln wie Ibiza, Mallorca oder Gili Trawangan in Indonesien haben sich innerhalb weniger Jahre zu vermüllten Partyinseln entwickelt. Es hat mich angewidert, die hauptsächlich männlichen, schmierigen Partytouristen auf den Gili-Inseln zu beobachten. Es sah aus, als würden sie mit dem Anspruch anreisen, sich hier alles nehmen zu können, was sie wollen. Egal ob Alkohol, Sex oder Frauen. Alles gehört ihnen und nichts ist ihnen peinlich. Dieser Anspruch, sich mit Geld alles erkaufen und erlauben zu dürfen, macht dabei einiges kaputt. Da die Lebensunterhaltskosten in fast allen Ländern in Südostasien (noch) extrem günstig sind, sind Thailand, Indonesien und Co. in den letzten Jahren zu einem beliebten Pilgerziel für Backpacker aus Europa und westlich geprägten Ländern geworden, die nach dem Abitur oder Studium noch einmal etwas „erleben“ wollen.

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Tag für Tag werden aus dem Golf von Thailand Unmengen an Abfall angeschwemmt: Plastiktüten, Plastikflaschen, Plastikbecher, Plastikdosen, sogar ganze Tische und Stühle. An manchen Wochenenden sind es nach Angaben der Inselverwaltung bis zu 20 Tonnen“, schreibt die Augsburger Allgemeine. Dort müssen reihenweise Strände geschlossen werden, damit sie sich vom Tourismus erholen und regenerieren können. „Vermutet wird, dass inzwischen etwa 140 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen umhertreiben. Jedes Jahr kommen bis zu zwölf Millionen Tonnen dazu.“ Interessant dabei: „Verantwortlich dafür sind in erster Linie nicht die westlichen Industrienationen. Mehr als zwei Drittel des Mülls stammt heute aus Asien. China, Indonesien, Thailand und die Philippinen gehören zu den besonders schlimmen Verursachern.

Und auch Bali hat mit demselben Problem zu kämpfen: Die indonesische Insel hat im Januar den „Abfallnotstand“ ausgerufen. Täglich sammelten von da an 700 Reinigungskräfte und 35 Lastwagen rund 100 Tonnen Abfälle ein und luden sie in einer Mülldeponie ab, wie die Berliner Morgenpost berichtete. „Am schlimmsten ist es während der jährlichen Monsunzeit, wenn starke Winde und Meeresströmungen Strandgut anspülen und angeschwollene Flüsse Müll von den Ufern zur Küste befördern.

Und jetzt?

Wenn ich jetzt in die Zukunft blicke, dann weiß ich, dass ich etwas ändern möchte. Ich will mich nicht mehr derart von Instagram lenken lassen, wie in den letzten Monaten. Auch nicht von den Gedanken, was meinen 600+ virtuellen Freunden dort gefallen könnte. Ich will mein Handy wieder öfter weglegen und das Leben ungefiltert mit meinen eigenen Augen genießen und erfahren. Ich will keinen Gedanken daran verschwenden, den aktuellen Moment mit irgendjemandem auf Social Media teilen zu müssen, nur um mein Selbstwertgefühl für ein paar Stunden zu steigern. Ich kenne mich selbst gut genug, um zu wissen, dass dies nicht sofort und nicht in jedem Moment funktionieren wird. Es ist ein Prozess, aber ich will jeden Tag wenigstens einen kleinen Schritt gehen.

Ich wünsche mir mehr Realität auf Instagram, nicht immer nur den selben Einheitsbrei zwischen „Earth Roamers“, die das Bergpanorama mit Sternenhimmel aus ihrem Kathmandu Zelt posten oder „Travel Bloggern“, die die Farbe des Meeres in ihren Bildern so extrem aufhellen, wie es selbst auf den Malediven nie aussehen wird. Ich wünsche mir ein Instagram, auf dem man nicht nur Bilder posten darf, wenn man verreist oder mit den Freunden feiern war, sondern eines, auf dem man auch Fehler machen darf. Natürlich, ungefiltert und ungeschminkt. Allerdings bekommen derartige Menschen und Bilder nur wenige Follower und Likes. Zu unästhetisch, passt einfach nicht in den Feed.

Irgendwo habe ich mal gelesen: „Das Problem ist: Menschen werden gehasst, wenn sie echt sind, und geliebt, wenn sie falsch sind.“ Wie schön wäre ein Instagram, wie schön wäre eine Welt, in der man sein darf, wer man ist und trotzdem geliebt und respektiert wird?

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Bildquelle: Unsplash unter CCO Lizenz