Reportage: Elena, das Stehaufmännchen
Elena* hatte schon alles und gleichzeitig nichts. Seit zwei Jahren hat die 19-Jährige starke Schmerzen im Rücken. Zeitweise konnte sie nicht mehr laufen. Im Raum standen Krankheiten wie Borreliose, ein Tumor oder das Schmerzverstärkungssyndrom. „Ein Arzt dachte sogar, dass man etwas bei meiner Blinddarmentzündung im Bauch vergessen habe.“ Bis heute hat Elena keine eindeutige Diagnose erhalten.
Elena lässt sich langsam auf den niedrigen Stuhl im Wartezimmer fallen. Sie kneift die Augen kurz zusammen, atmet aus und lächelt dann. „Alles gut“, sagt sie. So, als ob sie sich selbst davon überzeugen müsste. Das Wartezimmer ihres Hausarztes ist voll. Der beißende Geruch von Desinfektionsmittel mischt sich mit dem von Krankheit. Neben Elena sitzt ein Mann, auf dessen Stirn sich Schweißperlen bilden. Gegenüber fasst sich ein junge Frau an den Kopf, auf ihrem Arm liegt ein schlafendes Kind. „Es ist gerade richtig schlimm zu sitzen“, sagt Elena. „Es brennt. Die Schultern, das Bein, der Rücken. Und alles knackst.“
Elena hat Schmerzen im Rücken. Schmerzen, die plötzlich da waren und nicht mehr vergingen. Woher sie kommen, weiß sie nicht. Elenas Geschichte ist ungewöhnlich. „Manchmal können die Leute gar nicht glauben, was ich ihnen da erzähle.“ Es ist eine Geschichte vom Fallen und Verzweifeln, vom Wiederaufstehen und Hoffen.
Elena richtet sich kurz auf, um ihre Sitzposition zu verändern. Sie wartet jetzt seit mehr als einer Stunde, kann kaum mehr sitzen. „Wenn ich nicht gleich drankomme, rede ich mit denen“, flüstert sie und verdreht die Augen. Diskutieren kann sie, nach der Schule möchte sie vielleicht Jura studieren. Elena sagt, was sie denkt. Und denken tut sie viel. „Sie zerbricht sich über alles den Kopf“, erzählt Lisa, eine ihrer besten Freundinnen. „Manchmal sogar darüber, dass sie sich zu viel den Kopf zerbricht.“ Elena holt ihr Handy aus der Hosentasche und schaut auf die Uhr. Sie steckt es wieder weg und streckt ihre Beine aus. Dann steht sie auf und streicht ihren rosa Mantel glatt. Dazu trägt sie eine blaue Jeans und weiße Chucks. Ihre dunklen Locken fallen ihr über die Schultern. Langsam geht sie durch das Wartezimmer, Schritt für Schritt. Es ist nicht lange her, da war das keine Selbstverständlichkeit für sie.
Während des Konditionstrainings bekam Elena plötzlich starke Schmerzen im Bein
Das erste Mal kam der Schmerz im Juni 2016. Elena war sportlich, machte Eiskunstlauf. Während des Konditionstrainings hatte sie plötzlich starke Schmerzen im Bein. „Es war wie ein Dauerkrampf“, erinnert sie sich. „Ich konnte fast nicht mehr laufen.“ Elenas Orthopäde war sich sicher, dass sie sich einen Muskel gezerrt haben musste. Besser wurde der Schmerz nicht. „Im März 2017 wurde es so schlimm, dass ich weder schlafen noch laufen konnte.“ Elena wurde in das Kinderkrankenhaus im Münchner Stadtteil Schwabing eingewiesen.
Elena lag in ihrem Bett, eingewickelt in die hellgelbe Bettwäsche des Krankenhauses. Das Zimmer teilte sie sich mit anderen Kindern. „Meine Zimmernachbarn sind gekommen und gegangen. Nur ich bin die ganze Zeit geblieben.“ Die Wände im Zimmer waren weiß und hell. Trotzdem erdrückend. In den Gängen waren die Balken bunt angemalt: ein gescheiterter Versuch das Krankenhaus irgendwie lebendig zu machen. „Das Krankenhaus war so voll“, erinnert sich Elena. In einer Nacht hätten eine Frau und ihr Baby sogar im Gang schlafen müssen. „Es war einfach so surreal. Alles.“