Kinder stehen im Bad und putzen sich die Zähne

Routinen: Zwischen Selbstoptimierung und Langeweile

Was ich mich dabei jedoch Frage ist, ob auf lange Sicht, nicht die Spontanität auf der Strecke bleibt. Zum Nachdenken schnappe ich mir Hund und Handy und gehe eine Runde ins Feld. Ist ja schließlich auch schon Mittagszeit. Der Spontanitätsgedanke geht mir nicht aus dem Kopf, also rufe ich jemanden an, der es wissen muss. Meinen Großvater. Es klingelt zwei Mal, dann nimmt er ab. „Kind! Schön von dir zu hören. Ich sitze gerade auf dem Hometrainer.“ Ich schaue auf den Bildschirm. 13:30 Uhr. Natürlich sitzt er auf dem Hometrainer. „Was machst du? Ist windig bei dir.“ „Tut mir leid, bin gerade draußen. Ich laufe vor meinen Aufgaben weg.“ Dann erzähle ich ihm von meinem Routineproblem. Meine Großeltern gehören zu den strukturiertesten Menschen die ich kenne, aber nicht auf die spießige Art. Seit 34 Jahren kann man ein Uhrwerk nach den beiden stellen. Und das vor allem in den ganz kleinen Dingen. Der Espresso am Morgen, der Spaziergang am Vormittag, das Lesen der Zeitung, die Vorbereitung des Mittagessens, das Glas Wein am Nachmittag. Gleichzeitig befinden sie sich jedoch mindestens die Hälfte des Jahres auf Reisen und erobern mit ihrem Caravan die Welt.

Wie geht das?

„Ich hasse Routinen!“ Ruft mein Großvater sogleich ins Telefon. „Routinen machen dich engstirnig, sie schränken dich ein. Jeden Tag das Gleiche zu tun, bedeutet für mich Langeweile. Sie verlangsamen das Denken und lassen dich lustlos werden.“ Ich höre meine Oma im Hintergrund ruhig atmen. „Nun ja“, wirft sie ein. „Eigentlich sind Routinen schon sehr wichtig, weil sie gut für dich sind. Sie geben dir Halt. Oder magst du deinen Kaffee im Bett nicht? Wenn das so ist, dann lasse ich es ab morgen sein. Und unsere gemeinsamen Spaziergänge am Vormittag? Möchtest du die lieber sein lassen?“ Mein Großvater schnauft und ich schalte mich ein, bevor ich einen Ehekrach riskiere.

„Ich glaube einfach, dass Routinen zu oft radikalisiert werden. Entweder sie sind der heilige Gral des Erfolgs oder sie werden zu Unrecht verteufelt, weil man Angst vor Langeweile hat. Es muss doch einen gesunden Mittelweg geben. Irgendwo zwischen Zwang und totaler Anarchie.“ Schweigen in der Leitung. Ich kann die beiden förmlich denken hören. „Also, ein Gedanke dazu“, höre ich meine Oma schließlich. „Ich glaube Routinen können dir wirklich viel kaputt machen. Wenn du immer in den gleichen Urlaub fährst oder dieselbe Partei wählst, einfach, weil du das immer schon so gemacht hast. Gleichzeitig sind sie super, um Stress zu vermeiden. Bei der Feuerwehr zum Beispiel. Gäbe es da keine Routine in den Abläufen der Einsätze, dann würden sicher viel mehr Menschen bei Hausbränden ums Leben kommen. Oder auch in alltäglichen Situationen. Ich möchte mir nicht jeden Morgen Gedanken darüber machen, ob ich heute mal von rechts mit dem Zähneputzen anfange, statt von links, wie sonst immer. Das verbraucht zu viel Gehirnkapazität.“