Mann liegt in Geld. Bild: Pexels

„Und morgen bin ich Millionär!“– Von Schneeballsystemen und Network Marketing

So bitte nicht

Über FlowTex wurde mittlerweile sogar ein Spielfilm gedreht, da die Geschichte zu verrückt schien, um wahr zu sein.

Die Geschäftsgrundlage von FlowTex waren nicht existierende Baumaschinen, die der Firmenchef in die ganze Welt verkaufte. Das Modell funktionierte ganze sechs Jahre hervorragend, bis die Gründer Manfred Schmider und Klaus Kleiser schließlich wegen Wirtschaftskriminalität angeklagt wurden. Es entstand ein Schaden von 4,2 Milliarden D-Mark. Die Masche, die heute in weiten Teilen praktiziert wird, ist etwas raffinierter, aber deswegen nicht weniger illegal.

In der Bundesrepublik Deutschland fallen Schneeballsysteme unter das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (§16 Abs. 2 UWG). Wer also ein solches System unterhält, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.

Der Grund, weshalb diese Unternehmen dennoch florieren, besteht darin, dass die meisten von ihnen nicht in Deutschland gemeldet sind. Der deutsche Staat hat somit keine Handhabe. Investiert ihr euer Geld also in so ein Unternehmen und wollt hinterher klagen, weil ihr weder Gewinne macht, noch euer Geld zurückbekommt und auch keine Produkte dafür erhaltet, steht ihr auf verlorenem Posten.

In der Zwischenzeit ist Chiara scheinbar aus ihrer Schockstarre erwacht und hat mir diverse Links zu Facebook- und Instagram-Accounts sowie Videos weitergeleitet.

Lasset die Spiele beginnen

Wahllos klicke ich auf einen der Links zu den Videos und warte gespannt auf das, was nun kommen mag.

Das erste Video dauert 45 Minuten. Ich schaffe fünf. Danach muss ich auf Pause drücken und kurz durchatmen. Der Kerl in dem Video hat eine Attitüde, die ich irgendwo zwischen einem Prediger, meinem Yoga-Lehrer und einem schlecht gelaunten Offizier der Bundeswehr ansiedeln würde.

Mit Nachdruck und voller Begeisterung erzählt er seinen Zuhörer*innen von der unglaublichen Effizienz seiner Produkte und prahlt mit seinem Lifestyle. Er erklärt, wie man mit den Nahrungsergänzungsprodukten nicht nur schlanker und schöner, sondern auch glücklicher, erfolgreicher und sportlicher wird. Man hätte mehr Lust auf das Leben im Allgemeinen, würde mehr „positive“ Menschen anziehen und wäre mit seinem Körper im Einklang. Wenn man ihm so zuhört, dann klingt das natürlich erst einmal sehr verlockend. Und sehr unrealistisch. Denn dann würde er mit seinen Produkten ja nicht nur die Pharmaindustrie, sondern auch alle Psychologen weltweit arbeitslos machen. Vor allem geht es ihm aber um den beruflichen Erfolg, um das ganz große Geld.

Ich öffne den nächsten Link. Das Setting ist ähnlich. Ein junger Mann vor einem neutralen Hintergrund. Ästhetisch sieht das aus. Zwischendurch werden Szenen eingeblendet, in denen er in teure Autos steigt oder durch sein Haus läuft. Auch er referiert über seine unglaublichen Nahrungsergänzungsmittel, diesmal auf der Basis von Waldbeeren. Wow, da scheint die moderne Medizin in den letzten Jahren ja wirklich beide Augen zugedrückt zu haben, um all diese Wundermittel zu übersehen. Ich bin fasziniert. So viel Überzeugung habe ich das letzte Mal wohl bei Attila Hildmann und seinen Aluhüten gesehen.

So wie bereits der erste Herr schließt auch dieser hier seinen Vortrag mit unfassbaren finanziellen Möglichkeiten für die Zuschauer*innen, wenn sie denn nur bereit wären, in dieses lukrative Projekt mit einzusteigen.