Spießer mit Koks und Nutten

Wenn der Frankfurter Rapper Abdi aus dem Dunstkreis von Haftbefehl nicht mit Nutten und Koks, sondern mit Jack Wolfskin-Jacke für Schlagzeilen sorgt, ist es höchste Zeit, eine alte Frage wieder aufzurollen: Was sagt sein textiler Überzug über einen Menschen aus?

Denn genau das hat sich zugetragen, wie das Zeit-Magazin vergangenen Donnerstag schrieb: In einem Remix des Kulturjuwels „Chabos wissen wer der Babo ist“ hat sich besagter Rapper mit besagter Jacke gezeigt und das Wort Streetcredibility neu interpretiert. Es geht genauer um eine schwarz-rote Outdoor-Jacke mit gelber Wolfstatze an der linken Brust. Reißverschluss hochgezogen, bis unters Kinn.

 

Szene und Mode sind eng verbunden

 

Der Nachrichtenwert dabei ist ja dieser: Jack Wolfskin steht eigentlich für die deutsche Trekking-Kultur, das Kleinstadtleben und semi-coole 30-Plus-Pärchen im Partnerlook. Trägt nun einer wie Abdi die Marke, „verwandelt sich der zahme Wolf in ein bedrohliches, beutereißendes Tier“, formuliert Hartjes treffend. Den Markenvetretern von Jack Wolfskin hat das natürlich gar nicht gefallen.

Dass sich Jack Wolfskin über die neue Coolness beschwert, die Abdi der Wolfstatze bringt, bestätigt ein weiteres Mal: Bestimmte Marken bzw. Produkte gehören untrennbar zu einer bestimmten Szene – einer Subkultur, wenn man so will. Nun ist diese Erkenntnis auch mit den neuen Vibes aus der Frankfurter Rapper-Szene keine Neuheit. „Kleider machen Leute“ hat  schon der Schweizer Autor Gottfried Keller im Jahr 1974 getitelt und auch in der Soziologie ist das In-Szene-Setzen von Klamotten und Marken ein viel diskutiertes Thema. So betont etwa Nick Hebdige in seinem Fachbuch „Subcultures“, dass sich Subkulturen über gewisse Symbole verständigen. Wer also auf dem Szene-Markt zu einer Gruppe dazugehören will, der sollte nicht nur die richtige Musik hören, sondern auch den richtigen Sport machen, das richtige Essen essen und natürlich die richtigen Klamotten tragen. Der Style nämlich – so Hebdige – ist das nach außen hin sichtbarste und somit unvermeidbar wichtigste Aushängeschild einer Subkultur.

Zu der Entwicklung eines solchen subkulturellen Styles tragen zum einen Meinungsführer und berühmte Persönlichkeiten bei – eben so wie Abdi, der seinen szenischen Astralkörper in einer Statement-Jacke verpackt und damit in den Medien auftritt. Zum anderen setzen auch die Marken selbst Werbemöglichkeiten gezielt ein, um ein bestimmtes Image zu transportieren. So scheint es nur logisch, dass sich ein Skater im Skate-Park momentan nicht ohne Nikes zeigen kann, schaut man sich die Werbekampagne der Marke an.

 

Hilfe bei der Partnerwahl: Der Schuh als „Szene-Kompass“

 

Es ist nicht überraschend, dass diese unbestechliche Szene-Logik längst auch einem höheren Zweck dient und von cleveren Singlefrauen zur Männer-Sondierung eingesetzt wird. Denn es ist ja so, dass wir uns alle zu einer bestimmten Szene hingezogen fühlen, das müssen wir uns eingestehen. Und da die Hände, der Po oder die Augen wenig darüber verraten können, ob wir uns gerade einen Musiker, Skater oder Gamer anlachen, ist die Kleidung der sicherste Szene-Kompass. Erst neulich erzählte mir eine Freundin in einer Bar, mit ihrem Bier auf vorbeigehende Nike-Sneakers weisend: „Ich sag’s dir, bei einem Typen schaue ich immer auf die Schuhe, dann weiß ich gleich, ob er in Frage kommt oder nicht.“

Ja, offenbar sind gerade die Schuhe eines Mannes sein ehrlichstes Kleidungsstück, wie einschlägige Medienformate für Frauen bestätigen. Dazu möchte ich gerne auch eine eigene Erfahrung anführen: Es trug sich so zu, dass ich eines Abends auf einer Party einen verwegenen Musiker-Typen ausmachte. Er hatte den Stars der 60er-Jahre-Rockszene in Großbritannien sowohl frisurtechnisch als auch textil alles korrekt nachgestylt. Die Schuhe allerdings, die Schuhe! Chucks. Strahlend weiß. Offensichtlich gerade erst neu gekauft. Kurz: Nicht szenegerecht, nicht authentisch. Ja, das ist hart und ja, das ist auch oberflächlich. Aber so läuft es leider. Deal with it.

 

Er kann noch mehr: Der Schuh als Spiegel der Persönlichkeit

 

Eine Studie der Universität Kansas vom August 2012 geht sogar noch einen Schritt weiter und behauptet: „Age, income, and attachment anxiety can be judged from a picture of a person’s shoe.“ So zeigte das Forscherteam anhand von Fotos der Lieblingsschuhe von Studenten, dass man 90 Prozent der Charakter-Eigenschaften eines Fremden an den Schuhen erkennen kann. Praktische Schuhe wie Sneaker würden beispielsweise auf einen liebenswürdigen und umgänglichen Menschen deuten. Richtig fette Neon-Sneakers scheinen dagegen zu schreien: Nimm mich, weil aufgeschlossenen und extrovertiert.

Damit tragen wir unsere Persönlichkeit am Schuh, wie lästige Hundekacke, deren verdammte Duftmarke auch nach einer Oberflächenreinigung nicht verschwindet. Den Grund dafür sehen die Autoren der Studie darin, dass Menschen – bewusst oder unbewusst – Schuhe auswählen, die ihre Persönlichkeit wiederspiegeln. Warum das gerade bei Männern zutreffen soll, darüber lässt sich wohl nur spekulieren. Aber geht man ganz klischeehaft von einem Otto Normalverbraucher-Mann aus, der nicht von Bio-Kost und Hipster-Kultur überzüchtet ist, dann hat dieser vielleicht eine Hand voll Schuhe im Schrank, womit einem Paar eine hohe Aussagekraft zukommen dürfte. Soweit jedenfalls die Theorie.

 

Es gibt einen Haken. Wie immer.

 

In der Praxis wird es schon etwas schwieriger: Denn wer über szenegerechte Schuhe Bescheid weiß, kann dieses Wissen natürlich gezielt einsetzen. Daneben funken sicher auch billig produzierende Modekonzerne rein, die Marken und Trends kopieren und der breiten Masse zum Fraß vorwerfen. Und, um zum Schluss ganz galant einen Bogen zu Abdi zu schlagen, ist es auch nicht von der Hand zu weisen, dass bestimmte Marken bzw. Produkte von Zeit zu Zeit die Szene wechseln. Wir erinnern uns, dass Birkenstock einmal für Rentner und Ökos stand und nicht für kreative Fashion-Fanatiker. Und natürlich erinnern wir uns daran, dass Jack Wolfskin einmal für Trekking, Kleinstadt und Pärchen-Partnerlook stand und nicht für die Frankfurter Rap-Szene. Solche Bedeutungsverschiebungen eines Markenimages kann man als „Brandhack“ bezeichnen, schreibt Fabian Hartjes im Zeit-Magazin.

Also ist das ganze Theater um den Schuh wieder einmal einfach nur unnötig? Nein, denn bis Trends zu großen Modeketten und dem letzten Nachzügler durchgedrungen sind, kann man doch immerhin eine Momentaufnahme machen. In der Bildergalerie gibt’s also ein paar (noch) aktuelle Schuh-Klischees, damit ihr euch für die richtige Message die richtige Sohle aufzieht.