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Social-Bots: Wie viel Menschlichkeit steckt noch in den Sozialen Netzwerken?

Mit 13 Jahren waren ich und alle meine Freunde bei Knuddels.de angemeldet. Einem Chatroom, der für den heutigen Geschmack wahrscheinlich ziemlich retro aussähe, so jenseits von MSN und ICQ. Je nachdem, wie viel Zeit man schon online in dem Chatroom verbracht hatte, konnte man in der Hierarchie aufsteigen: Ab 700 Minuten wurde man Stammi, dann irgendwann Family-Mitglied. Damit konnte man dann virtuelle Rosen an andere Chatmitglieder verschenken und sich eine eigene Knuddels-Homepage basteln. Allerdings war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht so ein Digital-Addict, wie ich es heute bin, und wollte meine freie Zeit auch draußen im Dreck verbringen. Ich hatte also keine Chance darauf, irgendwann Stammi oder gar Famy zu werden.

Doch eine Freundin einer Freundin einer Freundin konnte da etwas. Sie nannte es „einen Bot installieren“. Diesen Bot richtete sie mir bei Knuddels.de ein und plötzlich hatte ich nicht mehr 80, sondern 800 verbrachte Minuten auf dem Chatportal und konnte endlich auch Rosen verschicken. Ich hatte keine Ahnung, was ein Bot sein sollte, aber scheinbar war mein Knuddels-Nickname jetzt ständig online, ohne dass ich es war. War mir irgendwie auch ziemlich egal, Hauptsache Stammi.

 

Programmierte Algorithmen

 

Inzwischen sind mir die Bots, die in den Chatrooms des 21. Jahrhunderts rumschwirren, gar nicht mehr so egal. Social-(Ro)Bots nennt man sie heute. Es handelt sich dabei um programmierte Algorithmen, die im Alleingang Profile erstellen und ihre eigene Social-Media-Identität aufbauen. Der Social-Bot pickt sich dazu ein Profilbild aus einer Datenbank, gibt sich einen unauffälligen Namen und versendet Freundschafts-Anfragen. Er achtet sogar darauf, in den ersten Wochen nicht all zu viel zu posten, um nicht aufzufallen. Aber dann legt er richtig los. Dann klinkt er sich in Diskussionen unter Postings ein, streut Argumente und vertritt Interessen. Die Social-Bots können auch darauf programmiert sein, sich durch eigene Tweets an bestimmte Hashtags zu hängen und durch Tausende von Postings diesem Hashtag eine ganz andere Richtung zu geben. Das Beeinflussungspotenzial ist riesig. „Das Problem bei Bots ist, dass sie skalieren. Das heißt, man kann mit nur einem Programm nicht nur einen Account, sondern eine Million falsche Identitäten steuern.“ sagt Experte Simon Hegelich gegenüber ntv. Die Online-Profile auf Twitter, Facebook und Instagram, die wie echte Menschen agieren und aussehen, aber keine sind, nehmen Überhand. Nach einer Statistik des SPIEGEL ist inzwischen jeder 12. Twitter-Account ein Social-Bot. Das bedeutet, dass ein Netzwerk, dessenAnspruch es ist, von den Stimmen echter Menschen geleitet zu werden, zu einem großen Teil in der Macht von Software-Robotern liegt.

 

Mit Social-Bots für Trump

 

Gerade für Journalisten, die sich von den Stimmen der Gesellschaft auf Social-Media-Portalen wie Twitter ernähren, ist diese Entwicklung fatal. Denn ein Trend, der eigentlich wiedergeben soll, wie die Gesellschaft tickt, wird durch die Social-Bots maßgeblich in eine Richtung gelenkt. Etwas wird vielleicht sogar zum Thema gemacht, obwohl es in den Köpfen der Menschen gar kein Thema ist. Die Medien und die Politik zehren dann weiter davon und letztendlich wird es tatsächlich zu einem unnatürlichen Trend in der Gesellschaft. Nur: niemand weiß von dieser Unnatürlichkeit. Im Fall des Brexit sollen Forscher der Oxford University herausgefunden haben, dass jeder dritte Beitrag im Netz zu dem Thema generiert worden sein soll. Das würde bedeuten, dass nicht nur das Stimmungsbild im Bezug auf den EU-Austritt gefälscht wurde, sondern auch, dass die Meinungen der Wähler maßgeblich von Social-Bots beeinflusst worden sein könnten.

So hat auch die globale ZEIT-Online-Befragung zur US-Wahl 2016 letztendlich nur 67 Prozent der abgegebenen Stimmen gelten lassen können, da sie bei dem Rest davon ausgehen musste, dass es sich dabei um Social-Bots handle. Direkt nach der Veröffentlichung der Umfrage hatte ein neuer Voting-Bot schon 1.000 Stimmen für den Kandidaten Trump abgegeben. Insgesamt waren 76 Prozent der als ungültig markierten Stimmen auf Seiten des Republikaners. Wenn Wahlen also irgendwann digital stattfinden würden, hätte wir ein Problem. An dieser Stelle ein Hoch auf das gute alte Wahllokal.

 

Sotware-Roboter beeinflussen die Wähler

 

Bei der US-Wahl sind Social-Bots übrigens schon lange mit im Spiel. Es existiert ein förmliches Netzwerk aus Software-Robotern, die die Stimmen der Wähler beeinflussen wollen. Und mal wieder gilt hier: welche Partei mehr Geld hat, hat mehr Möglichkeiten. Nämlich sich viele Social-Bots zu kaufen. Einige dieser Social-Bots posten dann, im Falle der US-Wahl, zuerst rassistische Witze, beleidigen dann aber Donald Trump. Hört sich erst merkwürdig an, ist aber eine clevere Idee. „In diesem Fall gehen die Bot-Macher davon aus, dass die Trump-Wähler eher Gefallen an rassistischen Äußerungen haben. Man spricht sie mit diesen Witzen positiv an, um ihnen dann Trump madig zu machen.“ sagt Hegelich dazu gegenüber der Wirtschaftswoche.

Ob das geklappt hat, werden wir allerdings nicht herausfinden. Denn am Ende kann man nicht sagen, ob jemand tatsächlich von der Meinung eines Social-Bots beeinflusst wurde. Es ist ja letztendlich auch nur wie eine weitere Meinung im Netz. Naja, oder eben tausende.

An sich sind Social-Bots aber schon etwas Tolles. Wir haben die Möglichkeit, unsere Arbeit abzugeben oder uns auf einen kleinen Smalltalk mit Siri einzulassen. Es muss nur endlich einen offenen Diskurs über dieses Thema geben, der dem ganzen Transparenz verschafft. Wir müssen wissen, wann wir mit einem Roboter kommunizieren, oder viel schlimmer und auswegsloser: diskutieren. Dann könnten wir etwas Großes daraus machen. Ich meine, mein Knuddels-Bot hatte ja schließlich auch nur Vorteile für mich. Und für alle, denen ich daraufhin eine Rose geschenkt habe.