Stellungswechsel

Stellungswechsel: Du bist niemandem Sex schuldig!

Sex und Feminismus, das passt nicht zusammen? Doch, wie unsere Kolumne „Stellungswechsel“ beweist. Nadine Kroll befasst sich mit den Fragen, die junge Menschen und speziell Frauen, die gerade ihre Sexualität entdecken, ganz besonders beschäftigen. Es geht um gesellschaftlichen Wandel, Selbstbestimmtheit, neugewonnene Freiheiten, Frauenrechte und natürlich ums Ficken, kurz: um sexpositiven Feminismus und darum, dass sich niemand für seinen Körper oder seine Vorlieben schämen muss.

Ganz egal, ob du dich in einer festen Beziehung mit einem anderen Menschen befindest oder nicht: Du bist dieser Person keinen Sex schuldig. Auch dann nicht, wenn ihr bereits seit fünf Jahren ein Paar seid und im letzten halben Jahr nur ein einziges Mal miteinander geschlafen habt.

Übersexualisierte Gesellschaft.

Du bist dem Typen, der dich zum Abendessen eingeladen hat, keinen Fick schuldig und auch nicht der Dame, mit der du dich in einer Bar gemeinsam hast volllaufen lassen, bis ihr gemeinsam sturzbesoffen bei dir gelandet seid, wo du gemerkt hast, dass du eigentlich gar keine Lust auf Sex oder das Mädchen, das jetzt neben dir liegt, hast. Verdammt, du bist diesen Personen noch nicht mal einen Kuss oder auch nur eine einzige Berührung schuldig, selbst wenn sie noch so nett zu dir waren oder bei den letzten Dates immer die Rechnung übernommen haben.

Leider fühlen sich sehr viele Frauen und auch einige Männer dazu verpflichtet, mit ihren Partnern oder Dates ins Bett zu hüpfen, obwohl sie selbst eigentlich gar keinen Sex wollen. Bedingt wird das vor allem durch den Druck, dem unsere übersexualisierte Gesellschaft ausgesetzt ist. Plakate, auf denen Titten und Ärsche zu sehen sind, findet man heutzutage an jeder Straßenecke, und kaum ein abendlicher Fernsehfilm kommt ohne eine Bumsszene aus, egal ob sie nun in die Story passt oder nicht. Selbst auf Instagram und Facebook lässt sich das Thema nicht umgehen, obwohl insbesondere diese beiden Netzwerke dafür bekannt sind, weibliche Körper und schmuddelige Themen zu zensieren.

Sex ist omnipräsent.

Klar also, dass er auch dann irgendwie zur Debatte steht, wenn zwei Menschen egal welchen Geschlechts sich gut verstehen und näherkommen. Man hat allerdings vergessen, uns zu sagen, dass wir die Beine nicht breitmachen müssen, nur weil andere in unserer Situation das getan haben – ich meine abgesehen davon, dass man uns Frauen immer und immer wieder erzählt hat, wir sollten die Beine am besten überhaupt nicht breitmachen, wenn wir nicht als Schlampen abgestempelt werden wollen. Gleichzeitig setzt man uns aber dem Druck aus, immer und überall bereit zu sein. Ein Paradoxon, das ich mir bis heute nicht erklären kann, also wenn jemand einen wissenschaftlichen Ansatz oder auch nur ein paar Ideen dazu hat, immer her damit!

Ich kann inzwischen nicht mal mehr an fünf Händen abzählen, wie oft ich schon zum Sex gedrängt wurde, den ich in erster Linie gar nicht haben wollte. Von Typen, die es sich dank Couchsurfing für ein paar Tage im Wohnzimmer meiner WG bequem gemacht hatten, von Dudes, die mir im Club mal ein Bier und eine Line Speed spendiert hatten oder auch von meiner Ex-Freundin, die der Ansicht war, wir würden es zu selten miteinander treiben. In sieben von zehn Fällen habe ich mitgemacht. Erstens, weil ich mich schuldig gefühlt hätte, wenn ich es nicht getan hätte und zweitens, weil es mir im Vergleich zu meinem schlechten Gewissen, das mich plagen würde, wenn ich „nein“ zu den Menschen sagte, die so nett zu mir waren, als das geringere Übel erschien.

Ganz laut „NEIN“ sagen.

Inzwischen bin ich mir darüber bewusst, dass es mein gutes Recht ist, wann immer ich keine oder nicht ausreichend Lust habe, „nein“ zu sagen. Das gilt nicht nur für Sex, sondern auch freundschaftliche Aktivitäten wie ein Kinobesuch oder jemandem beim Umzug zu helfen, den ich nicht zu meinen zwei engsten Freunden zählen würde. Ich weiß aber auch, dass viele Menschen sich das nicht trauen, aus ganz ähnlichen Gründen, wie ich sie hatte, als ich mitgemacht habe, obwohl ich eigentlich nicht wollte.

Das muss sich ganz, ganz dringend ändern. Deshalb erkläre ich hiermit 2019 offiziell zu dem Jahr, in dem wir ganz laut „NEIN“ sagen. Zu Sex, den wir nicht wollen, Menschen, die uns zu eben diesem drängen wollen und generell allem, von dem wir merken, dass es uns irgendwie nicht gut tut.