Stellungswechsel: „Heteropärchen“ gehören auf die Pride!

Sex und Feminismus, das passt nicht zusammen? Doch, wie unsere Kolumne „Stellungswechsel“ beweist. Nadine Kroll befasst sich mit den Fragen, die junge Menschen und speziell Frauen, die gerade ihre Sexualität entdecken, ganz besonders beschäftigen. Es geht um gesellschaftlichen Wandel, Selbstbestimmtheit, neugewonnene Freiheiten, Frauenrechte und natürlich ums Ficken, kurz: um sexpositiven Feminismus und darum, dass sich niemand für seinen Körper oder seine Vorlieben schämen muss.

Pride-Zeit ist eine schöne Zeit. Den ganzen Juli über wurden wir mit Regenbogen überschüttet und für das gefeiert, was wir sind: queer und verdammt stolz darauf. Gut, viele Firmen wollen uns ködern und verkaufen uns irgendwelche nutzlosen Pride-Artikel, ohne selbst irgendetwas für die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*Personen zu tun, doch darum soll es hier gar nicht gehen. Mein Problem liegt bei der Pride selbst und wie sie mit „heterosexuellen“ Pärchen umgeht.

Von betrunkenen „Allies“

Der Christopher-Street-Day, kurz CSD, hat in sämtlichen deutschen und auch ausländischen Städten den Ruf, immer mehr zu einer Party für Heterosexuelle zu verkommen, die zeigen wollen, dass sie wunderbare „Allies“, also Verbündete, sind, oder sich einfach nur mal mitten am Tag ordentlich volllaufen lassen wollen, ohne irgendwelche Konsequenzen tragen zu müssen. Und auch wenn diese weit verbreitete Annahme vielleicht an der ein oder anderen Stelle zutreffend ist, so schadet sie doch in erster Linie den Menschen, für die die Pride gedacht ist: den Queers.

Queer und heterosexuell

Viele queere Personen werden als heterosexuell gelesen, obwohl sie es nicht sind. Damit wird ihnen von außen nicht nur das Recht genommen, auf der Pride mit zu marschieren, es nimmt ihnen auch ein ganzes Stück ihrer Identität. Darüber hinaus kann man sehr wohl heterosexuell und queer sein. Zum Beispiel, wenn man ein Trans-Mann ist und sich aber ausschließlich zu Frauen hingezogen fühlt.
Menschen, die von außen darauf blicken, sehen auf der Pride also nur ein heterosexuelles Pärchen, das seine Liebe zueinander zeigt, so wie es sie 24/7 an 365 Tagen im Jahr zeigen kann, ohne dafür angefeindet oder ganz und gar ermordet zu werden. Was sie allerdings nicht sehen, ist, dass dem Mann in dieser Beziehung bei der Geburt ein anderes Geschlecht zugewiesen war und dass er tagtäglich den gleichen Kampf kämpft wie hunderttausende andere Queers – und alleine deshalb eine Daseinsberechtigung auf der Pride hat.
Dasselbe trifft übrigens auf das heterosexuell wirkende Paar zu, bei dem er bi- und sie pansexuell ist, auch wenn du das nicht sehen kannst. Oder das Pärchen, das zwar heterosexuell aussieht, in der Realität aber eine asexuelle, panromantische Beziehung miteinander führt. Denn: Auch asexuelle Personen gehören auf die Pride, wenn sie sich selbst als queer ansehen. Die Entscheidungsgewalt darüber liegt bei ihnen, und nicht bei dir, auch wenn du dich in deiner Homosexualität und deinem Pride in diesem Moment vielleicht bedroht fühlst, weil sie irgendwie „anders“ sind als du.

Heterosexualität kann vielfältig sein

Und hast du mal daran gedacht, dass es auch intersexuelle Menschen gibt, die du einem bestimmten Geschlecht und einer speziellen Beziehungsform zuordnest, nur weil du sie siehst? All die genannten Punkte können auf „heterosexuelle“ Paare, die die Pride besuchen, zutreffen. Zwar bin ich auch der Ansicht, dass eine „Straight Pride“, wie sie in den USA debattiert wurde, vollkommen überflüssig ist, und doch sollten wir nicht alle Heteropärchen über einen Kamm scheren, denn auch Heterosexualität kann vielfältiger sein, als uns die Medien und unser persönliches Umfeld vielleicht suggerieren.
Mensch kann sehr wohl hetero und queer sein. Und sollte aus diesem Grund auf der Pride genauso willkommen sein, wie die Butches, Dykes, Lipstick Lesbians, die Lederschwulen, die Twinks und Bären, die Fetischliebhaber und alle, die sich keiner bestimmten Kategorie zuordnen lassen wollen.

Nadine Kroll, geboren 1990, studiert Kunstgeschichte in Berlin. Mit 19 Jahren zog sie aus der schwäbischen Provinz in die Hauptstadt und konnte zum ersten Mal ihre Sexualität ausleben. In Blog-Artikeln ließ sie neugierige Leser 2013 erstmals an ihren Erlebnissen teilhaben und legt nun mit ihrem Buch „Stellungswechsel“ umfassend und ungeschminkt Zeugnis von den hellen und den dunklen Seiten ihres Lebens ab.

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Bildquelle: Unsplash unter CC0-Lizenz