Vulva-Shaming

Stellungswechsel: Wie Vulva-Shaming unser Sexleben beeinträchtigt

Sex und Feminismus, das passt nicht zusammen? Doch, wie unsere Kolumne „Stellungswechsel“ beweist. Nadine Kroll befasst sich mit den Fragen, die junge Menschen und speziell Frauen, die gerade ihre Sexualität entdecken, ganz besonders beschäftigen. Es geht um gesellschaftlichen Wandel, Selbstbestimmtheit, neugewonnene Freiheiten, Frauenrechte und natürlich ums Ficken, kurz: um sexpositiven Feminismus und darum, dass sich niemand für seinen Körper oder seine Vorlieben schämen muss.

 

Weißt du, wo der Unterschied zwischen Vulva und Vagina liegt? Wenn deine Antwort auf diese Frage „nein“ lautet, dann geht es dir wohl wie den meisten Menschen. Denn obwohl es einen Unterschied zwischen Vagina und Vulva gibt, werden beide Wörter häufig synonym gebraucht, um die Genitalien von Menschen, denen bei ihrer Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugewiesen wurde, zu beschreiben.

Dabei ist es eigentlich gar nicht so kompliziert: die Vagina ist alles, was innen liegt und für uns normal nicht sichtbar ist, während die Vulva den Teil der primären Geschlechtsorgane beschreibt, den man sehen kann, also die inneren wie die äußeren Schamlippen, den Venushügel und ein kleiner Teil der Klitoris. Und um genau diesen Teil soll es hier heute gehen.

Muschi, Mumu, Knospe oder Kätzchen

Die Vulva wird umgangssprachlich meist mit Begriffen beschrieben, die sich inzwischen auch als abwertende Schimpfwörter durchgesetzt haben. Für uns ist es längst alltäglich, ängstliche Menschen eine „Muschi“ zu nennen oder Personen, die wir gar nicht leiden können, als „Fotze“ zu bezeichnen. Das komplette Gegenteil dazu stellen verniedlichende Begriffe dar, darunter „Mumu“, „Knospe“ oder auch „Kätzchen“.

Besonders schlimm finde ich persönlich Begriffe, bei denen die Vulva nur auf eine einzige Funktion reduziert wird. „Schlitz“, „Ritze“ und „Saftpresse“ sind nur einige wenige aus der schier endlos scheinenden Liste von aus meiner Sicht abwertenden Begriffe für das weibliche Geschlechtsorgan. Kein Wunder also, dass wir irgendwie Probleme mit „da unten“ haben, die sich früher oder später in unserem Sexualleben bemerkbar machen.

Unsere Vulven sind uns irgendwie peinlich. Das hat zwar nicht ausschließlich mit den Begriffen zu tun, die im allgemeinen Sprachgebrauch dafür verwendet werden, aber eben auch. Alles, was da unten stattfindet, ist irgendwie mit Scham – ein weiteres nicht sonderlich empowerndes Wort für die Vulva – behaftet: von der Menstruation über die Schambehaarung bis hin zur Selbstbefriedigung.

Sind wir untenrum eigentlich okay?

Wir sind stolz auf unsere schönen Haare und unseren knackigen Arsch, auf Sommersprossen, unsere Fähigkeit schneller sprechen zu können als alle anderen Menschen in unserem Umfeld, auf gute Noten in der Schule, der Universität oder einer anderen Ausbildungsstätte, aber stolz zu sein auf unsere Vulven und Vaginen, das hat uns irgendwie niemand beigebracht. Dabei leisten sie viel mehr Arbeit als beispielsweise das, was wir auf dem Kopf tragen. Weil wir aber selbst nie gelernt haben, unsere Genitalien zu ehren und zu schätzen, wie bei anderen Teilen unseres Körper, sind wir permanent mit der Frage beschäftigt, ob wir untenrum eigentlich okay sind.

Sind unsere Schamlippen zu lang? Riechen wir unangenehm nach Fisch? Sind wir vielleicht nicht eng genug? All das sind Fragen, die uns Frauen tatsächlich beschäftigen, wenn wir uns selbst nackt sehen. Vor allem dann, wenn wir mit jemandem ins Bett gehen wollen und kurz davor sind, uns selbst nackt zeigen zu müssen. Ob es sich bei unserem potenziellen Geschlechtspartner um einen Mann oder aber eine andere Frau handelt, ist dabei vollkommen zweitrangig. Denn auch wenn wir mit Menschen Sex haben wollen, die genau wie wir auch Vulven und Vaginen haben und von den Problemen, die wir mit unseren Genitalien haben, ein Lied singen können, haben wir doch immer Angst davor, untenrum nicht richtig zu sein. Wir haben Angst, anders auszusehen als die Frauen in den Pornos, falsch zu riechen, oder „so weit“ zu sein, dass die berühmte Metapher von der Salami in der Turnhalle bei uns greift.

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Genau das allerdings hindert uns dann daran, uns beim Sex wirklich fallen lassen zu können. Die Folge ist ein unbefriedigendes Sexleben – und zwar sowohl für uns selbst, als auch für unsere Sexualpartner*innen. Das internalisierte Vulva-Shaming, wirkt sich also indirekt auch auf die Personen aus, die es aktiv betreiben, indem sie Sprüche über angebliche „Fischläden“ klopfen oder sich über sogenannte Camel Toes lustig machen. Je unwohler wir uns fühlen, weil wir denken, dass mit unserer Vulva oder auch Vagina etwas nicht in Ordnung ist, desto weniger Lust haben wir nämlich auf Sex. Dann lehnen wir zum Beispiel Oralsex ab oder bestehen darauf, dass das Licht ausgeschaltet bleibt, während wir intim werden. Beides verspricht am Ende des Tages mehr Frust als Lust.

Die perfekte Vulva gibt es nicht

Was also können wir tun, um uns mit unseren Vulven auszusöhnen und so auch wieder Lust darauf bekommen, uns vor unseren Partner*innen nackt zu zeigen; um ein erfülltes Sexleben genießen zu können? Nun, pauschal lässt sich diese Frage vermutlich nicht beantworten. Aber ein erster Schritt wäre wohl, uns bewusst zu machen, dass wir von Kindesbeinen an Vulva-Shaming ausgesetzt waren, obwohl es überhaupt nichts gibt, was uns an unserem sogenannten Schambereich irgendwie peinlich sein sollte. Menschen mit Vaginen riechen nun mal wie sie riechen, bekommen wenn sie einen Uterus haben mehr oder weniger regelmäßig ihre Tage und sehen alle unterschiedlich aus. Es gibt nicht die perfekte Vulva, genau, wie es keine Vagina gibt, die „vom Kinderkriegen oder zu viel Sex schon ganz ausgeleiert ist“.

Ja, diese ganzen frauenverachtenden Vorurteile aus dem eigenen Kopf zu bekommen, ist nicht leicht. Aber ein Anfang ließe sich schon damit machen, Worte wie „Fotze“ nicht mehr als Schimpfwort zu benutzen, und der Vulva keine verniedlichenden Kosenamen mehr zu verpassen, sondern sie so zu nennen, wie sie korrekt heißt.

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