Politker recken den Mittelfinger hoch

Der Stinkefinger und die Politik

Kaum eine Geste erzeugt so viel Aufmerksamkeit wie ein fein säuberlich ausgestreckter Mittelfinger. Vor allem, wenn ihn ein Politiker zückt. Am vergangen Freitag grüßte Juso-Chef Kevin Kühnert die CDU mit dem Stinkefinger und ist damit in bester Gesellschaft. Der Mittelfinger als politisches Statement hat ganz offensichtlich Konjunktur und ist immer für einen Aufreger gut. Die Aktion wird gefeiert oder gebasht, aber vor allem hitzig diskutiert. Warum ist das so?

 

Eine Geste macht Geschichte

 

Symbolisch aufgeladen bis zum Gehtnichtmehr hat der Stinkefinger eine lange Tradition. Schon in der griechischen Antike beleidigte man sich mit dem ausgestreckten Mittelfinger. Die Schmähgeste stellt – wer hätte es geahnt – einen Phallus dar und fordert zum übertragen Schwanzvergleich auf. Es geht also mal wieder darum, wer den größeren hat.
Ab den 1960ern trat der Stinkefinger, von den USA als „The Finger“ ausgehend, seinen medialen Siegeszug an. In den großen Protestbewegungen war die Fuck-Off-Geste genauso zu Hause, wie im Standardrepertoire verschiedensten Rockmusiker. Von ihnen wurde der omnipräsente Mittelfinger und dazugehöriges Benehmen quasi erwartet. Das bekannteste Beispiel ist wohl Johnny Cashs Mittelfinger, den der Fotograf Jim Marshall bei einem seiner Gefängnisauftritte in St. Quentin ablichtete.

Inzwischen ist die Geste in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wobei zur Alltagskommunikation gehört sie trotzdem noch nicht, auch wenn uns Madonna mit ihrem inflationären Bühnengebrauch etwas anderes weismachen will. Dafür sorgt nicht zuletzt auch Vater Staat. Wer zum Beispiel einem Ordnungshüter den Mittelfinger zeigt, muss bis zu 4.000 Euro Strafe zahlen. Laut Strafgesetzbuch handelt es sich nämlich um die vorsätzliche Verletzung der Ehre einer Person durch Kundgebung der Missachtung. Der Stinkefinger funktioniert immer noch als persönliche Beleidigung und provoziert deswegen auch heute noch.

 

Der Stinkefinger und die Politik

 

Kevin Kühnert setzt auf diese Funktion jetzt also im Ohne-Worte-Interview des SZ Magazins. Auf die Frage „In CDU-Führungsrunden nennt man Sie offenbar den »niedlichen Kevin«. Einverstanden?“ zeigt er den ausgestreckten Mittelfinger. Damit tritt der 28-jährige in ziemlich große Fußstapfen, denn schon der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück packte im Jahr 2013 in dieser Rubrik den Stinkefinger aus. Die Aktion brachte ihm damals allerdings teils verheerende Kritik an seinem politischen Einschätzungsvermögen. Die Schmähgeste ist in der Politik trotzdem nicht zwingend ein Schuss in den Ofen.

Als Außenminister Sigmar Gabriel 2016 den obszönen Finger gegen eine Gruppe pöbelnder Neonazis auspackte, erntete er vor allem in den eigenen Reihen einigen Respekt. Ganz anders verhielt es sich im Sommer 2015. Und wie gut erinnern wir uns an die heftigen Diskussionen über den ehemaligen griechischen Außenminister. Tagelang empörte sich ganz Deutschland über den Fake-Nicht Fake-Fake-Mittelfinger von Yanis Varoufakis. Der Ärger war damals jedenfalls echt und trübte die deutsch-griechischen Beziehungen.

 

Und alle so: Boah!

 

Ob bewusste Inszenierung oder spontane Geste, die Reaktionen der Bevölkerung sind sicher. Jetzt reiht sich also auch der Frontmann der Jungsozialisten, der seit Wochen gegen die Große Koalition mobil macht, ein in die Stinkefinger-Gang. Sein ausgestreckter Mittelfinger ist zwar weniger ein wütendes „Leck mich“ als ein „Mir doch egal“, trotzdem: Wir springen auf diese Geste an.

Denn sie verlässt die politische, die sachliche Ebene und riecht nach Beleidigung und die ist nun mal grundsätzlich auf der Beziehungsebene zu Hause. Da geht es dann um Emotionen und um Impulse und mit denen kennt sich ja schließlich jeder aus. Da hat dann jeder eine Meinung dazu. Es gibt zwar kurz eine hitzige Debatte, aber inhaltlich geht nichts vorwärts.
Eine Beleidigung ist immer auch eine Aberkennung von Respekt, danach lässt es sich oft nur schwer weiter reden. Und darum geht es in der Demokratie ja, ums Miteinander-Reden. Ein Mittelfinger und ein kräftiges „Fuck Off“ ist dagegen immer ein Zeichen von fehlenden Argumenten. Ende der Diskussion.

 

Öfter mal am Oberstübchen statt am Finger kurbeln

 

Klar ist, dass Kühnert sicher wenig Lust auf Verunglimpfungen wie „Niedlicher Kevin“ hat. In der deutschen Politik gelangt man wohl durch graue Haare immer noch am leichtesten zu mehr Respekt. Falls die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag ablehnen, werden die Karten eh neu gemischt.

Und natürlich ist es auch lustig. Aus Recherchezwecken habe ich meinen Mittelfinger aufgeblasen wie einen Luftballon, imaginär raus gekurbelt und mich inspirieren lassen, wie man den Finger sonst noch ziehen kann. Manchmal ist ein ordentliches „Fuck You“ sicher hilfreich. In manchen Kontexten aber halt auch nicht. Der ausgestreckte Mittelfinger ist eine Geste, die immer noch provoziert. Und damit sollte man in einer Zeit sparsam sein, in der die Politik immer mehr auch Schauplatz von populistischen Parolen und Gesten wird, die nur auf Emotionen und Impulse abzielen.

 

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Bildquelle: Thought Catalog via Flickr unter CC BY 2.0