„Ich wollte, dass sie wie eine kleine Terroristin auftritt“ – Svenja Jung über ihre neue Netflix-Rolle
Am 20. November startete die dreiteilige Miniserie „Zeit der Geheimnisse“ – die erste deutsche Netflixproduktion unter weiblicher Führung. Die Geschichte erzählt drei Weihnachtsfeste einer Familie, eines 1987, eines 2004 und eines 2019. Im Mittelpunkt stehen dabei vier ungewöhnliche Frauen aus verschiedenen Generationen. An jenen Weihnachtstagen müssen sie sich den Geheimnissen und Lügen ihrer Vergangenheit stellen, damit sie sich endlich versöhnen können, bevor es zu spät ist. Denn wie die Großmutter sagt: „Die Frauen in dieser Familie sind wie die Wellen auf dem Meer. Sie stoßen sich ab und ziehen sich an.“
Wir haben Svenja Jung in Berlin getroffen und mit ihr über ihre rebellische und verletzte Rolle der Vivi geredet, über die wichtigsten Frauen in ihrem Leben und die bevorstehenden Festtage.
ZEITjUNG: Na, was ist denn momentan dein gut gehütetes Geheimnis?
Svenja Jung: (lacht) Dachte ich mir schon, dass diese Frage kommt – bei dem Serien-Titel. Aber das würde ich natürlich nicht öffentlich sagen.
Was fasziniert dich an „Zeit der Geheimnisse“?
Es ist die erste deutsche Netflix-Produktion aus weiblicher Hand. Wir haben eine Drehbuchautorin, eine Regisseurin und vier Frauen, die den Kern der Geschichte bilden. Alle Frauen in der Serie haben Namen und führen Dialoge untereinander, damit haben wir schon mal den Bechdel-Test bestanden – den bestehen leider immer noch nicht viele Filme heutzutage. Dabei sind die Kriterien dafür fast lächerlich. Aber es ist wunderschön zu sehen, was da für eine emotionale, feinfühlige und lustige Geschichte entstehen kann, wenn so viele talentierte Frauen am Werk sind. Sie ist sehr langsam erzählt, sie darf viel Raum einnehmen, es ist nicht alles auf Action und tausend Cliffhanger ausgelegt und das schätze ich sehr. Die Geschichte spricht für sich selber und die Figuren sind sehr persönlich ausgearbeitet.
Durftest du deine Rolle mitgestalten?
Natürlich hat die Regie immer eine Vision von der Rolle und den Schauspielern. Aber wir hatten Kati Eyssen, unsere Showrunnerin, jeden Tag am Set mit dabei und haben viel mit ihr über die Rollen diskutiert. Da trifft man sich irgendwo in der Mitte. Und es ist schön zu sehen, dass letztendlich deine Inputs auch tatsächlich bleiben und nicht rausgeschnitten werden. Ich wollte zum Beispiel, dass Vivi ein bisschen wie eine kleine Terroristin auftritt. Dass wenn sie den Raum betritt, alle kurz den Atem anhalten, weil gleich eine Bombe platzen könnte. Ihre Mutter denkt ja, Vivis Vater sei ein Terrorist gewesen, das hat sie in ihrer Erziehung schon mitgekriegt.
Was findest du das Spannendste an deiner Rolle?
Ich finde es toll, dass man Vivi 2004 auch als 12-Jährige erlebt. Dieses kleine Mädchen, das total an der Mama hängt, so sehr um ihre Liebe kämpft, ihren Papa nie kennengelernt hat und so unendlich verletzt ist, erklärt, warum die 2019-Vivi der Mensch ist, der sie ist – total aufgeladen und das pure Chaos. Sie weiß nicht, wer sie ist, wohin sie will und woher sie kommt. Aber sie kämpft unermüdlich darum, dass die Geheimnisse und Lügen aus ihrer Vergangenheit endlich gelüftet werden. Und findet so schließlich einen neuen Zugang zu ihrer Mutter, aber auch zu sich selbst. Ich liebe ihre Willenskraft und ihre Kopf-gegen-die-Wand-Attitüde. Daraus hab ich viel Kraft geschöpft.
Siehst du dich denn selber in Vivi?
Ich sehe mich wahrscheinlich in fast jeder Rolle, die ich spiele ein bisschen selbst. Aber im Gegensatz zu mir ist Vivi ein sehr negativer Mensch, sie ist dauernd schlecht gelaunt. Und es muss immer um sie gehen: Ihr geht es am schlechtesten, ihre Probleme sind die schlimmsten – so bin ich nicht. Aber was ihren Willen und ihren sehr trockenen Humor angeht, damit kann ich mich sehr identifizieren. Und sie hat eine herausfordernde Art, die habe ich – hoffe ich – auch.
Wie hast du dich auf Vivi vorbereitet?
Als ich das Buch gelesen habe, hatte ich gleich ein Gespür für die Figur und wusste, wie ich sie spielen möchte. Manche Figuren finden dich irgendwie, bei anderen muss man schon mal länger rumkramen. Aber Vivi war sofort da. Dann habe ich Punkte, die ich bei jeder Rolle durchgehe: Was will sie in ihrem Leben? Wie will sie das erreichen? Wie ist ihr Verhältnis zu den anderen Figuren? Das sind die Basics. Ich habe auch viel mit der jüngeren Vivi geredet. Wir haben diskutiert, was Vivi ausmacht und mit welchen Bewegungen und Eigenheiten wir aus der 12-Jährigen Vivi und der 24-Jährigen denselben Mensch machen können. Und mit dem Rest der Crew haben wir natürlich auch viele private Beziehungen aufgebaut.
Es geht vor allem um die Verhältnisse und Geheimnisse zwischen den vier Frauen. Wie habt ihr diese Dynamik am Set erlebt?
Leonie, meine Serienschwester, und ich waren uns sehr schnell sehr nah. Fast wie echte Geschwister. Und das war nicht nur reine Liebe und Harmonie, es hat schon auch mal geknallt am Set. Aber das ist auch gut, so werden neue Energien freigesetzt. Es war aber im Grunde nicht anders, als wenn der Regisseur ein Mann gewesen wäre, es geht ja immer um die Menschen an sich und um Respekt. Und von Christiane Paul und Corinna Harfouch konnte ich so unglaublich viel lernen.
Zum Beispiel?
Wie man sich auch in Massenszenen mit mehr als zehn Schauspielern auf sich und seine Rolle konzentrieren kann und wie man als Gruppe die Energien zusammenhält. Und auch generell – manchmal passiert es schon, dass man den Fokus verliert und Kämpfe kämpft, die sich nicht lohnen auszutragen.
Inwiefern?
Wenn ich zum Beispiel mit der Regie darüber diskutiere, ob ich diese dumme Tasse jetzt in die Hand nehme oder nicht, dann ist das kein Kampf, der sich lohnt. Das ist dann nur schlecht eingesetzte Energie. Die spare ich mir lieber für inhaltliche oder sprachliche Sachen. Christiane und Corinna haben mir gelehrt, wie wichtig es ist, auch für seine Rolle einzustehen, für seine Figur zu kämpfen und zu schauen, dass sie immer authentisch bleibt. Und manchmal sollte man sich eher denken: Okay die Tasse kann ich schon mit Vivi vereinen.
Wer sind denn privat die wichtigsten Frauen in deinem Leben?
Natürlich zum einen meine Mutter und meine Oma. Und vor allem meine 3 Jahre jüngere Schwester.
Warum vor allem sie?
Sie ist meine Kindheit, mein Ursprung und meine beste Freundin, ich fühle mich zu niemandem so verbunden. Sie ist und war immer an meiner Seite. Früher haben wir uns so gehasst (lacht), aber heute liebe ich keinen Menschen so sehr wie sie.
Apropos Familie: Fährst du denn heim über Weihnachten?
Ja, ich fahre immer drei Tage davor schon heim, damit wir alle zusammen die Festtage vorbereiten können. Das läuft im Grunde immer gleich ab: Wir kaufen einen Baum und streiten, weil er nie in die Halterung passt. Dann streiten wir darüber, ob wir Kerzen oder Lichterketten dranhängen und ich mache garantiert irgendeine Lieblings-Christbaumkugel kaputt. Wir streiten, weil alle so aufgeladen sind und sich lange nicht gesehen haben, aber dann, wenn nach dem Baumschmücken das alljährliche Drama vorbei ist, kann’s richtig losgehen. Da gehen wir dann abends in die Kirche, essen Raclette und packen Geschenke aus. Am nächsten Tag sind wir bei Oma mit der extended family und am Tag darauf geht’s meistens bis zum 30.12. in die Schweizer Berge zum Skifahren.
Oh, in meine Heimat!
Echt? Dann kannst du’s bestimmt voll gut! Du siehst aus wie eine Snowboarderin*. Ich kann leider nur Skifahren und ich fahre ja nur einmal im Jahr, also bleib ich dabei. Aber ich habe jetzt mit Surfen angefangen, dann liegt das Snowboard vielleicht gar nicht so fern…
(*Ja, ich snowboarde – auf Skiern stand ich noch nie, wie soll ich denn auch zwei Bretter unter Kontrolle haben – und nein, ich kann es überhaupt nicht gut, denn sehr unschweizerisch mache ich das nur, wenn ich echt genötigt werde)