Liebeserklärung an: den 9-to-5 Job, der eigentlich gar nicht so trist ist

Es sind die kleinen Dinge, die uns unseren tristen Alltag versüßen und das Leben ein bisschen besser machen. Ob es hübsche Gänseblümchen sind, die am Straßenrand wachsen oder eine Kugel deiner liebsten Eissorte – wir alle haben kleine Muntermacher in unserem Alltag, über die wir nur selten ein Wort verlieren. Das soll sich jetzt ändern! Wir bieten euch eine Liebeserklärung an die kleinen Dinge, die uns in stressigen Situationen retten, an schleppenden Tagen motivieren oder uns die guten Tage versüßen!

Lieber 9-to-5 Job,

du bist der kleine, hässliche Bruder vom romantischen Digital-Nomad-Lifestyle, vom flexiblen Arbeiten, am liebsten auch nur Teilzeit. Ob du überhaupt zur Familie gehörst, wundern wir uns. Doch obwohl wir Gen Y’s dich gern klein und hässlich und schwach hätten, bist du doch eine allgegenwärtige Bedrohung und als tiefe Angst, auf alle Zeiten in unseren Köpfen verankert. Wir fürchten dich und sind uns fast sicher, dass du am Ende der Studi- und Reisezeit – aber spätestens Ende der 20er – auf uns wartest, wie ein Sensenmann, der seine Opfer erst liebevoll empfängt und dann langsam in den Abgrund trägt. Wir haben so unglaublich Schiss vor dir.

Denn du stehst für alles, was wir nie sein wollen: beständig, vorhersehbar, geordnet, langweilig, tot. Du stellst dich zwischen uns und unsere Selbstverwirklichung, unsere Kreativität und unseren Freigeist. Du zwingst uns in die Knie und unsere Leben in deinen Rahmen. Wir spielen nach deinen Regeln. Wir sind deine Marionetten. Und hast du erst ein Opfer in deinen Fängen, lässt du es nicht mehr los, erdrückst es mit deiner grauen Eintönigkeit und der einzige Weg, der uns noch bleibt ist das Burn-Out.

„Hä?“,

denkst du jetzt bestimmt. „Ich dachte, das sollte eine Liebeserklärung werden?“ Wird es noch, keine Angst. Ich will nur allen Stimmen Platz geben. Weil ich weiß, dass ich als Teil der Gen Y diese Angst vor dir auch schon hatte und vermutlich irgendwann wieder haben werde. Aber – und deshalb ist das auch eine Liebeserklärung – im Moment finde ich dich grad super. Und der Moment ist ja eh das was zählt, oder? Ok, du würdest wahrscheinlich Nein sagen, aber anyways: Lieber 9-to-5 Job, ich lasse jetzt die Stimme in mir reden, die in dir momentan den großen, coolen Bruder sieht, der starke, der sichere. Der, der einem vor falschen Freunden beschützt.

Du bist das Erdbebengerüst

Im letzten halben Jahr war mein Leben alles andere als beständig oder gar langweilig. Ich wechselte viermal das Zuhause, einmal das Land, ungefähr sechsmal die Haarfarbe, verlor einen kompletten Freundeskreis, gewann drei neue dazu und versuchte ganz nebenbei nicht durchzudrehen und genug Gemüse zu essen. Das meiste davon fand in einer Zeit statt, in der die Uni eine unverschämte Ewigkeit brauchte, das Bachelordiplom auszustellen, die Kündigungsfrist beim Studentenjob noch lief und in meinem Zimmer schon die für München gepackten Koffer standen. Wie unglaublich froh war ich also, zu wissen, dass ab Juli zumindest ein Teil meines Lebens sehr, sehr geregelt sein wird. Da kamst nämlich du ins Spiel.

Ich arbeite jetzt von 9 bis 5, in einem coolen Büro, mit eigenem Schreibtisch. Da habe ich meinen Apfelessig im Schrank, den ich morgens in den Tee mische, da lasse ich die Agenda jeden Abend auf dem Tisch, weil ich weiß, ich bin morgen eh wieder hier. Und genau dieses Wissen, morgen oder spätestens in zwei Tagen wieder hier zu sein, die bekannten Gesichter zu sehen, meinen Tee zu trinken und eine Aufgabe zu haben, das tut so gut. Und so kann ich mit dir auch meine Freizeit wieder besser schätzen. Du machst sie zu einem verlässlichen Bestandteil meiner Woche, räumst ihr pünktlich um 5 das Feld. So kann ich sie planen, füllen und genießen, ohne Druck oder hintergründige Pflichtgedanken.

Das gibt mir eine Sicherheit, mit der ich erst diese Aufregungen einer neuen Stadt und so vielen neuen Menschen meistern kann. Denn sollte mal alles auseinanderfallen, bist du das Erdbebengerüst, das zumindest noch etwas Struktur gibt. Ich denke, du funktionierst dann so gut, wenn die anderen Bereiche des Lebens genug Wahnsinn zulassen. Wenn ich mit brennendem Herzen liebe, dass der Tod so fern ist, wenn in meinem Kopf Farben der Freude explodieren, dass ein grauer Alltag keinen Platz hat und ich mir abends die Füße wund tanze, dass Langweile mich nie überwältigen kann, dann bist du wunderbare Ruhe und stets willkommen.

Und wenn ich um 10.30 Uhr ins Yoga will?

Ich weiß, dass ich dich nicht für immer so cool finden werde. Wahrscheinlich wirst du mir irgendwann schon auf den Keks gehen, oder mich einengen. Vielleicht dann, wenn ich wieder fix irgendwo wohne, oder in einer beständigen Beziehung bin oder doch gern um 10.30 Uhr ins Yoga möchte. Dann wird etwas anderes das Erdbebengerüst sein, und das ist völlig okay. Aber bis dahin, lieber 9-to-5 Job, genieße ich dich. Bis dahin empfinde ich dein ‚beständig‘ als schützend, das ‚vorhersehbar‘ und ‚geordnet‘ als beruhigend, das ‚langweilig‘ als entspannend und sage DANKE!

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Bildquelle: Unsplash unter CC0 Lizenz